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Gesetzlich verankerter Neoliberalismus (08.06.2005)





Die Ablehnung der Verfassung wird zu Unrecht mit einer Ablehnung von Europa gleichgesetzt


Zwei Kritikpunkte an der EU-Verfassung ragen heraus: Der Vorwurf, die neue Verfassung schreibe die Vorfahrt des Marktes fest und sorge für die Bildung einer europäischen Streitmacht. Grund genug für viele, in Frankreich und Holland mit Nein zu stimmen. Denn die europäische Verfassung ist weder gleichzusetzen mit der EU noch mit Europa. Vielmehr wurde hier ein wichtige Grundlage, die das Leben aller Menschen in der EU bestimmen würde, ohne diese geplant. Oder kennt jemand den Verfassungstext?



Von Manfred Horn

Es ist schon äußerst bedenklich, wie zur Zeit die Europäische Verfassung diskutiert wird: Nämlich gar nicht. Genauso bedenklich, wie die meisten Regierungschefs mit dem Votum der Referenden in Frankreich und Holland umgehen, wo sich eine Mehrheit der Bürger gegen die Verfassung ausgesprochen haben. Es kommt ein trotziges »Weiter so«, der Ratifzierungsprozeß müsse weiter gehen. Dabei hatten die Staatschefs zuvor festgehalten, dass alle Mitgliedsstaaten zustimmen müssen, sonst kann die neue Verfassung nicht in Kraft treten. Jetzt wird nach Wegen gesucht, des Abstimmers Votum möglichst ungeschehen zu machen. Die Szenarien sehen sogar vor, in Frankreich zu einem günstigeren Zeitpunkt noch einmal abstimmen zu lassen. Die europäische Verfassung sei eben kein »vertragsjuristisches Vorhaben, sondern ein politischer Prozess«, heißt es.

Das der britische Premier Tony Blair nun kein Votum des Volks mehr haben will, zumindest nicht jetzt, dürfte nicht dem Respekt der Ablehnung in Frankreich und Holland geschuldet sein. Vielmehr will er eine Niederlage vermeiden. Sprechen Politiker in Deutschland über die Gründe für die Ablehnung, taucht als erstes ein Vermittlungsproblem auf: »Wir haben nicht gut genug erklärt«, sagt Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Es ist die gleiche Argumentation wie immer, wenn etwas schief geht. Schon Bundeskanzler Gerhard Kiesinger beklagte 1969: »Das Volk hat uns nicht verstanden«. Als Jahrzehnte später klar wurde, dass die Hartz-Gesetze und damit laut Schröderscher Definition ein »Jahrhundert-Reformprojekt« auf wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung treffen, hieß es auch: Das müssen wir besser erklären. Was folgte, war eine Millionen Euro schwere Kampagne in den Medien, die für die Sozialreformen warb. Die Stimmung änderte sich trotzdem nicht.

Doch warum sind die Referenden in Frankreich und Holland gescheitert, wo doch Bundeaußenminister Fischer, ganz Realist, feststellte; »Eine bessere Verfassung wird es nicht geben«. Tatsächlich dürfte es schwer sein, den Text noch einmal zu ändern, einzig denkbar und wohl nicht die schlechteste Variante ist eine auf die Grundrechte reduzierte Version. Die Gemengelage der Nein-Sager war in Frankreich und Holland äußerst breit: Sie reichte in Frankreich von rechtsextremen Le-Pen-Anhängern bis zu Kommunisten. Die Linke in beiden Ländern wetterten gegen das unsoziale Europa des Kapitals, in Holland sahen orthodoxe Calvinisten den Kontinent vom Islam bedroht.


Kollektive Inkompetenz?

Die politischen Befürworter greifen in die Trickkiste, wenn sie nun aus denjenigen, die Nein zur Verfassung gesagt haben, Europa-Gegner machen. Richard Wagner kommentierte in der ›Frankfurter Rundschau‹: »Der Ausgang eines Referendums kann sich als Markenzeichen kollektiver Inkompetenz erweisen. Dass das Plebiszitäre die Agora untergräbt, erfahren wir nicht zum ersten Mal, und so ist es schon fast obsolet nach stichhaltigen Gründen für die Ablehnung des europäischen Verfassungstextes zu suchen.«

Und es ist nur ein Teil der Wahrheit, dass Nein-Sager sich damit gegen eine weitere Ausdehnung der EU ausgesprochen hätten, wie es nun die CDU-Kanzlerkandidatin tut. Für den Bundestagswahlkampf ist eine diskriminierende Kampagne gegen die Türkei zu befürchten, für Gott und das eigene Vaterland oder Kerneuropa.