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Gesetzlich verankerter Neoliberalismus (Teil 2)



Es ist auch nur ein Teil der Wahrheit, dass die Ergebnisse ein Signal gegen die da oben ist, sei es in Paris, Amsterdam oder Brüssel. Oder aber ein Signal gegen eine Überbevormundung durch die EU. Es ist müßig, dumme oder schlaue Nein-Wähler auszumachen. Doch es gibt zwei zentrale Aspekte, die in den deutschen Medien kaum Erwähnung fanden und die für die zahlreichen linken Non- oder Nee-Sager wichtig waren: Die Marktorientierung und Militarisierung der EU durch die neue Verfassung.

Marktorientierung? Blödsinn, sagen Befürworter. Wirklich Neoliberale würden sich ja daran stören, dass die EU durch die neue Verfassung überhaupt einen wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmen vorgeben. Oder aber die Argumentation wird zynisch: Was für ein europäischer Sozialstaat? Der Sozialstaatsgedanke ist doch längst national ausgehebelt. Mag sein, dass ist noch lange kein Grund, diese Aushebelung auf europäischer Ebene zu bestätigen.

Die Befürworter der Verfassung heben hervor, dass die Verfassung Ziele wie Nachhaltigkeit, soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung, sozialer Fortschritt festschreibe (Art. I-3) Auch seien bestimmte Rechte nun bei den Organen der EU einklagbar, so das Schutzrecht vor ungerechtfertigter Entlassung oder das Recht auf Zugang zu einem »unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst« (Art. II-112).

Die Kritiker halten dem aber entgegen, dass die EU durch die Verfassung Neoliberalismus gesetzlich verankere. So kennt die Verfassung den Grundsatz der »offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (Art. III-177), Beschäftigungspolitik sei den »Grundzügen der Wirtschaftspolitik« unterzuordnen (III-206, 179) , die geprägt sind soll durch die Orientierung auf das »vorrangige« Ziel der »Preisstabilität« (I-30, III-177, 185). Auch der Stabilitätspakt ist in der Verfassung enthalten (III-184). Nicht vorgesehen ist hingegen die Angleichung direkter Steuern, besonders der Unternehmenssteuern, womit der Abwärtswettbewerb bei den staatlichen Einnahmen zu Lasten der Finanzierung öffentlicher Aufgaben aufzuhalten wäre.


Vorfahrt für unternehmerische Freiheit?

Zugleich wurde die fehlende Sozialbindung des Eigentums in Art II-77 und der verfassungsrechtlichen Hervorhebung der »unternehmerischen Freiheit« (II-76) verankert. Anstelle eines »Rechts auf Arbeit« wird nur das »Recht zu arbeiten« gewährt (II-75). Durch die Herabstufung von Grundrechten zu »Grundsätzen« in den Schlussbestimmungen (II-112 Abs. 5) und Erläuterungen (II-112 Abs. 7) sehen die Kritiker die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte auf EU-Ebene ausgehöhlt. So könne beispielsweise nicht von einem EU-Streikrecht oder einem grenzüberschreitenden Streikrecht die Rede sein, während nationalstaatliche Regelungen zur Aussperrung geschützt werden (II-88) .

Fakt ist, dass die europäische Verfassung die EU für militärische Verteidigung öffnet, dies wird auch von den Befürwortern nicht bestritten. Sie stärkt die Möglichkeit, zu einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik zu gelangen. Zwar verpflichtet die Verfassung »zu Frieden, [...] Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern« (Art. I-3) und verpflichtet »zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen«. Aber: neben zivilen Mitteln zur Konfliktbewältigung wird auch der Rahmen geschaffen für militärische Reaktionen und Aktionen: Denn eine Formulierung, dass die Mittel zur »Stärkung der internationalen Sicherheit« eingesetzt werden sollen (Art. I-41), lässt viel Interpretationsspielraum bis hin zum sogenannten Präventivkrieg.