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Fast vollständig ausgelöscht (07.09.2005)





Fahrradständer und Ablage: Das Mahnmal am Bahnhof hat viele Funktionen, die nicht im Sinne des Denkmals sind




Viele Spuren jüdischen Lebens gibt es nach der Shoa in Bielefeld nicht mehr und die meisten würden auch eingefleischte Bielefelder übersehen. Da war es gut, dass eine Gruppe von etwa zwanzig Menschen auf der Suche nach diesen Spuren am vergangenen Freitag eine äußerst sachkundige Führerin hatte. In einem gut zweistündigen Stadtrundgang erläuterte Dorothee Meyer zu Bentrup, wie und wo Juden in Bielefeld gelebt hatten. Und wie sie vernichtet wurden.

Von Mario A. Sarcletti

Der Stadtrundgang auf den Spuren jüdischen Lebens beginnt am augenfälligsten Zeichen dafür, dass auch in Bielefeld Juden lebten, dem Mahnmal am Bahnhof. Errichtet wurde es 1998 auf Initiative von Bielefelder Bürgerinnen und Bürgern. Auf zwei Tafeln stehen die Namen von mehr als 1800 Menschen, die ab 1941 vom Bielefelder Bahnhof in die Vernichtung transportiert wurden. »Die Stadt war vor 1933 die Heimat einer größeren jüdischen Gemeinde, die fast vollständig ausgelöscht wurde«, erklärt das Mahnmal. Aber nicht nur Bielefelder Juden wurden von hier deportiert. Die hiesige Gestapostelle organisierte auch die Massendeportation von Juden aus den Ländern Lippe und Schaumburg-Lippe sowie dem Regierungsbezirk Minden.

»Nachweislich waren es neun Transporte, mit denen Menschen im Alter zwischen vier Monaten und 92 Jahren deportiert wurden, sehr wahrscheinlich gab es aber mehr«, weiß Dorothee Meyer zu Bentrup. Der erste Transport 1941 ging nach Riga, wo zuvor ein großer Bezirk von etwa 25.000 Juden »gesäubert« worden war. »Aus diesem ersten Transport haben nur vier oder fünf Menschen überlebt«, erklärt Meyer zu Bentrup.

»Warum sind diese Menschen nicht vorher ausgewandert«, fragt sie ihre Zuhörer. Es ist eine rhetorische Frage, denn gleich erklärt die eloquente Dame, warum viele jüdische Bewohner Bielefelds in ihrer Heimat blieben. Nur die Hälfte der etwa eintausend Mitglieder der hiesigen jüdischen Gemeinde emigrierte, die andere Hälfte wurde ermordet. »Die meisten waren liberale Juden, die sich als Deutsche mosaischen Bekenntnisses sahen, sie wollten Deutsche sein«, begründete Meyer zu Bentrup, warum so viele blieben. Als Beleg für die Heimatverbundenheit zitiert sie später aus einem Beitrag des Rabbiners Kronheim für ein Buch über Bielefeld aus dem Jahr 1926, in dem dieser ein Bekenntnis zu Bielefeld und dem Ravensberger Land abgibt.

Für den Verbleib in der Heimat sei aber auch eine Fehleinschätzung verantwortlich gewesen: »Die, die blieben, haben erst gedacht, dass sie diese Zeit überstehen, wenn sie still sind«, sagt Meyer zu Bentrup. Zudem hätten die Menschen bei einer Ausreise nur 2000 Reichsmark mitnehmen dürfen, nicht viel um eine neue Existenz aufzubauen.