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Eine Chance für die Basis? (14.09.2005)



Von Karl-Theodor Stiller

Zur Bundestagswahl am 18. September tritt die ehemalige PDS als ›Die Linkspartei‹ an. Auf ihren Listen kandidieren auch WASG-Mitglieder und Unabhängige. Die Verständigung darüber stand durch den vorgezogenen Wahltermin unter großem Druck. Jetzt präsentiert sich ›Die Linke‹ als Alternative zu den anderen Parteien, die sie in vielen Fragen als neoliberales Kartell kritisiert. Sie wird – auch in Bielefeld – Stimmen gegen deren Politik und ihre Auswirkungen, gegen Hartz IV und andere »Reformmaßnahmen« sammeln können.

Menschen, die an der Basis - in Betrieben und Gewerkschaften, Kindergärten und Schulen, Ämtern und Wohlfahrtsverbänden, Initiativen und Foren, in den Kirchen oder bei attac – arbeiten, um die gegenwärtige Politik und gesellschaftliche Realität zu verändern, fragen sich, wie sich diese Kandidatur und die angepeilte Parteibildung in Zukunft auf ihre Arbeit auswirken wird.

Prognosen des Wahlergebnisses sagen wenig über die zukünftigen Chancen vor Ort. Zunächst wurde die Linkspartei von Massenmedien und Demoskopie-Instituten mit Vorschusslorbeeren bedacht und durfte mit zweistelligen Prognosewerten bis zu 12 Prozent glänzen. Inzwischen ist man daran gegangen, diese Werte abzubauen, und prognostiziert sinkende Wählerzahlen. Damit wird nicht etwa der stattfindende Wahlkampf kommentiert. Vielmehr sind diese Veröffentlichungen selbst Teil des Wahlkampfs. Auch die ablehnende Kommentierung der Spitzenkandidaten gehört dazu. Oppositionelle und linke Kräfte an der Basis in Bielefeld stören sich allerdings wenig an Lafontaines und Gysis Rücktritten von Regierungsämtern. Sie kritisieren eher ambivalente Äußerungen und ihren Hang zu regierungsnaher »Realpolitik«.


Kräfte von der Basis abgezogen?

Wichtiger ist aber die Frage, wie sich die Kandidatur der Linkspartei und ihre weitere Entwicklung auf die Arbeit vor Ort auswirken werden. Hier gibt es Vorbehalte: Die Partei werde Kräfte von der Basis abziehen und das Interesse von der mühsamen, tagtäglichen Kleinarbeit ablenken; sie werde die Illusion nähren, dass man nur die »richtigen Forderungen« an den Staat stellen muss, statt sich selbst zu bewegen und etwas zu verändern. Diese Bedenken, so unterschiedlich sie sind, kommen nicht von ungefähr. Besucht man Wahlversammlungen der Linkspartei und der WASG in Bielefeld, hört man eine lange Liste von Wünschen und Forderungen an die Parteien, ihr Programm und ihre zukünftigen Abgeordneten, aber kaum etwas darüber, wie man selbst vor Ort aktiv werden könnte. Anzuerkennen ist allerdings, dass diese Versammlungen Raum geben für seit langem unterdrückte und ungehörte Klagen und Wutausbrüche vieler Betroffener.

Die Kandidatur gibt wohl einem weit verbreiteten Bedürfnis Ausdruck, dass in diesem Jahr mit der Einführung von Hartz IV noch stärker geworden ist: Endlich über alle Meinungsunterschiede und Grenzen hinweg gemeinsam zu handeln, um den katastrophalen Wirkungen der neoliberalen »Reformpolitik« etwas entgegenzusetzen. Dieses Bedürfnis war schon spürbar zwischen den Menschen, die aus Bielefeld zu den großen Demonstrationen der Gewerkschaften im April 2004 fuhren. Es drückte sich auch auf den Bielefelder Sozialforen und Montagsdemonstrationen aus. Heute zeigt es sich in der Wahl-Zustimmung zur »Linken«, aber auch in hohen Erwartungen an das entstehende Parteigebilde. In Zukunft wird die Frage wichtig sein, wie die solidarische Orientierung vieler SymapthisantInnen und WählerInnen bewahrt werden kann. Der kommende Parteibildungsprozess könnte – auch in Bielefeld – Konflikte und Turbulenzen hervorbringen, in denen sich diese Menschen nicht mehr wiederfinden. Dann könnte ihre Zustimmung schneller als gedacht wieder verloren gehen.