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Gabrielle – Liebe meines Lebens



Von Harald Manninga

Allem Anschein nach führen Gabrielle (Isabelle Huppert) und Jean (Pascal Greggory) ein glückliches großbürgerliches Eheleben an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er verdient gut, mischt in der Politik mit, hat gerade eine Zeitung aufgekauft, die auch wieder guten Gewinn macht, man kann sich mehrere Hausbedienstete leisten, jeden Donnerstag empfängt man zum »jour fixe« Freunde, Künstler, Journalisten... Schöner und etablierter könnte es nicht sein. Glaubt jedenfalls Jean, bis er eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt und statt seiner Frau einen Abschiedsbrief von ihr vorfindet. Für ihn bricht eine Welt zusammen, die wohl vor allem aus der Frage: »Was werden die Nachbarn dazu sagen?!« besteht.

Erst recht dramatisch wirds aber, als Gabrielle schon nach wenigen Stunden beschämt zurück kommt: Sie hats nicht fertiggebracht, aus den bürgerlichen Konventionen wirklich konsequent auszubrechen. Das macht aber für Jean, der ganz fest darin verwurzelt ist, den sogar größeren Teil des Dramas aus: Gehen ist schlimm genug, aber wie soll man erst recht nach der Rückkehr den Gästen erklären, was da vorgegangen ist? Auf die Idee, dass man das Ganze, von dem ja niemand etwas mitbekommen hat, einfach auch verschweigen könnte, kommt er offenbar gar nicht erst, vor lauter Erschütterung über die Erschütterung seiner »Grundwerte«.


Gut gespielt ist das ja. Vor allem Isabelle Huppert ist mal wieder eine Pracht mit ihrem fein ziselierten Understatement der jeweils geforderten Gesichtsausdrücke. Und wie Greggory sich das wütende Gehabe eines gehörnten Ehemanns aus »bester Gesellschaft« von der Seele brüllt, weint, argumentiert, das hat schon Qualitäten. Bei denen zu hoffen ist, dass der deutsche Synchronsprecher (bisher gibts den Film nur als Original mit Untertiteln) das ähnlich eindringlich hinbekommt

Allerdings bleibt Regisseur Chéreau die Antwort auf Frage: »Was wollte uns der Dichter damit sagen?« schuldig. Schon eine eigentliche Geschichte bleibt er schuldig, denn es »entwickelt« sich im Grunde nichts. Es werden zwar große Gefühle und Gefühlsausbrüche vorgeführt, aber was die mitteilen sollen, das bleibt eher im Dunkeln. Der Film hält den Zuschauer durch eine Reihe von quasi-brechtschen "V-Effekten" wie den Wechsel von schwarz-weiß zu Farbe und zurück, Texteinblendungen, Toneffekte und dergl. auch sonst eher auf Distanz, statt ihn in das Filmgeschehen hineinzuziehen.

Man soll ja nicht vergleichen, aber dennoch: Zur Zeit, im Oktober 2005, ist »Stolz und Vorurteil«, nach einem Roman von Jane Austen, in den Kinos. Die Geschichte, die dort erzählt wird, hat auch mit fraulichem Ausbruch aus den geltenden Konventionen zu tun, die in dem Fall nochmal hundert Jahre älter und verknöcherter sind als die, die in der Geschichte von Joseph Conrad eine Rolle spielen. Diese Verfilmung kriegt es aber wesentlich besser als »Gabrielle« hin mitzuteilen, was uns Heutigen das »zu sagen« haben könnte.


Insgesamt ist »Gabrielle« eher langweilig.