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Ambivalenzen inklusive (Teil 2)






Nach zwei Monaten wird Posmysz ins zu Auschwitz gehörige Lager Birkenau gebracht. Dort hat sie Glück: Der Küchenchef sucht Kartoffelschälerinnen. 20 Frauen werden ausgesucht, unter ihnen Posymsz. »Dort konnten wir wenigstens immer um Suppe bitten«, erzählt sie. Nach zwei Monaten war sie körperlich wieder einigermaßen hergestellt. Doch dann erkrankt sie an Flecktyphus. Durch Läuse übertragen, sind Durchfall und hohes Fieber die Folge. Sie kommt ins Spital, »eigentlich ein Ort des Sterbens«, sagt sie. Dort gab es keine Arzneien, selbst bei hohem Fieber nicht einmal Wasser.

Doch Posmysz hat wieder Glück: Die Krankenstation wird umorganisiert. Aus dem Lager werden zwei Häftlinge rekrutiert, die ärztliche Dienste verrichten. Ein erfahrener Arzt ist unter ihnen. Er arbeitet auch im SS-Lazarett und kann so Medikamente ins Krankenlager der Häftlinge schmuggeln. Er verabreicht Posymsz Opium, sie überlebt. Der Arzt wird erwischt – er organisierte regelmäßig Medikamente – und erhält zehn Tage Stehbunker: Nachts stehen, tagsüber arbeiten. Er hält durch.

Posmysz kommt zurück in die Schälküche, und steigt, wie sie sagt, »auf«: Sie arbeitet nun in der Küche, an großen Töpfen, die 50 Liter fassen. »Eine schwere Arbeit, aber wir hatten immer genug zu essen«, sagt sie. Dann, inzwischen ist das Jahr 1943 erreicht, wird der Küchenchef gegen eine SS-Frau aus dem Lager Ravensbrück ausgetauscht. Anneliese Franz soll für Ordnung sorgen. So ziemlich als erstes fragt sie, welcher der Gefangenen deutsch spreche. Posmysz hatte die deutsche Sprache auf dem Gymnasium gelernt. So wurde sie Schreiberin für die Küche und die Brotkammer.


Mit dem Knüppel erschlagen, um Munition zu sparen

Das ging eine ziemlich lange Zeit so, bis in den Januar 1945 hinein. Da stand dann die Rote Armee bereits in Krakau. Das Lager wurde evakuiert, auch Posmysz kam auf einen der Todesmärsche. Sie ging zwei Tage, der Weg war gesäumt von Leichen. »Wer nicht mehr weiterkonnte, wurde erschossen«, berichtet sie. Um Munition zu sparen, wurden die Gefangenen auch mit Knüppeln erschlagen. Nach zwei Tagen ging es mit offenen Güterwaggons weiter, Richtung Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort hätten die Frauen bleiben sollen, doch der Lagerkommandant weigerte sich, weitere Häftlinge aufzunehmen. So endete die Fahrt im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Die folgenden drei Monate lebte Posmysz unter einem großen Zelt. In Ravensbrück mussten die Frauen nicht arbeiten, aber sie durften das Zelt nicht verlassen. Es war Winter – und in dem Zelt gab es weder Betten noch Strohsäcke. Ohne Waschräume und Toiletten sind die hygienischen Verhältnisse entsetzlich. Zusammen mit etwa 1.000 anderen Frauen wird sie nach Neustadt-Glewe transportiert. Dort kommt sie in die Baracken einer Fliegerkaserne, der längst die Piloten ausgegangen sind.

Am 2. Mai 1945 wird sie von US-Truppen befreit. Sie schlagen vor, ihnen hinter die Demarkationslinie an der Elbe zu folgen. Posmysz bleibt auf sowjetischem Einflussgebiet, sie will zurück nach Polen. Seit 1945 lebt sie dort in Warschau. Sie arbeitete für den polnischen Rundfunk in der Abteilung Literatur.


Verarbeitung durch das Schreiben

Lange Jahre schweigt sie über ihre schrecklichen Erlebnisse in den nationalsozialistischen Lagern. »Die Literatur hat mir geholfen«, sagt sie heute. 15 Jahre nach Kriegsende beginnt sie, ihre Erinnerungen bewusst nach oben zu holen. Sie soll eine Reportage über ein Werk machen, das aus den Ruinen der IG-Farben Fabriken in Auschwitz entstand. Das erste Mal ist sie wieder mit dem Ort des Grauens konfrontiert. Sie übernachtet – ganz realsozialistisch – in einem Arbeiterhotel. Nachts schreckt sie hoch. Sie hört zwei Stimmen, die sich laut in deutscher Sprache unterhalten. Aufgeregt denkt sie, sie sei wieder im Lager. Sie läuft auf den Korridor, und sieht zwei Ingenieure aus der DDR, die angeregt über Konstruktionspläne diskutieren.