Webwecker Bielefeld: gewalt01

Wortgewaltig (18.01.2006)





Diskutierten gegen das Deutungsmonopol des Hamburger Instituts für Sozialforschung: Das Historische Quartett im Buchladen Eulenspiegel (v.l.n.r.) Annette Vowinckel, Klaus Weinhauer, Hanno Balz, Ingrid Gilcher-Holtey und Moderatorin Freia Anders



Von Manfred Horn

Als Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma im vergangenen Jahr ihr Buch ›Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF‹ herausgaben, konnten sich einer breiten Rezeption in den Medien sicher sein. Denn das Buch wurde vom Hamburger Institut für Sozialforschung publiziert, das seit der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht während des zweiten Weltkriegs auch über Historikerkreise hinaus bekannt ist. Reemtsma ist zugleich der Kopf des Instituts, Kraushaar langjähriger Mitarbeiter.

Das Buch zeichnet eine Linie von Rudi Dutschke zur Rote Armee Fraktion (RAF): »Dennoch existiert ein Zusammenhang, der sie miteinander verbindet: Beide setzen kompromisslos auf den Kampf, auf eine Strategie der Eskalation und beide besaßen eine obsessive Affinität zur Gewalt«, heißt es über Rudi Dutschke und Andreas Baader im Klappentext zum Buch.

Nun ist also nach der 68er-Bewegung auch die RAF in die Phase der Historisierung getreten – ganz nach dem Plan des Hamburger Instituts, eine Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Die RAF, die sich erst 1998 auflöste, geschichtlich nicht einmal ein Steinwurf von der Gegenwart entfernt, ist freigegeben zu »einen kühlen Blick«, wie die Buchautoren schreiben. (zur Geschichte der RAF auch dieser WebWecker-Artikel).

Das Historische Quartett, das sich am Montag Abend im Buchladen Eulenspiegel vor einer großen Menge menschlich besetzter Klappstühle aufmachte, die Geschichtsdarstellung des Buches zu hinterfragen, konnte diesen »Blick« bei den Autoren aber nicht entdecken. Die Historikerin Annette Vowinckel, die zur Zeit am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität Berlin arbeitet, sprach von der Schwierigkeit, Dinge zu bearbeiten, »in die wir selbst verstrickt sind«. Dies gilt explizit für Wolfgang Kraushaar, der in Frankfurt selbst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aktiv war. Dies gilt auch mit Abstrichen auch für Jan Philipp Reemtsma, der 1980 seine Anteile an dem Reemtsma-Zigarettenkonzern an die Tschibo-Familie Herz verkauft und sich seitdem vor allem dem Werk Arno Schmidts und eben seinem 1984 gegründeten Institut für Sozialforschung widmet.


Von der Vergangenheit reinwaschen

So warf Hanno Balz von der Zeitschrift ›sozial.geschichte‹ den Buchautoren vor, sich reinwaschen zu wollen. »Reemtsma fühlt sich schuldig und versucht nun um so mehr draufzuhauen«. Kraushaar verhalte sich eher wie jemand, der Kriminalfälle lösen wolle sagte er mit Sicht auch auf dessen im vergangenen Jahr erschienenen Buch ›Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus‹. Sicher sind Spekulationen über die Motivationslagen der Buchautoren berechtigt, solange sie nicht in Psychologisierungen abgleiten: Genau in diese Falle aber lief das Historische Quartett zeitweise. Zumal sie einen Teil der Kritik am Buch genau darauf fokusierten und sich beispielsweise an der Darstellung Baaders als gewalttätigem Typ, der gar nicht anders konnte, stießen. »Das Buch wimmelt von mannigfaltigen Psychologisierungen, zugleich Reproduktionen von dem, was die Massenmedien in den 1970ern geschrieben haben«, meint Balz.

In diesem Sinn war das Historische Quartett bei allem Bemühen selbst »unhistorisch«. Was aber nicht weiter schlimm war, zumal es sich mit dem Zuruf aus dem Publikum traf, die Debatte nicht so akademisch zu führen. Denn zu einem derartig zeitnahen Thema kann es nur eine oberflächliche Distanz geben. Angenehm, wenn die Entfernungsmaske aufgehoben wird, indem der Sprecher sich positioniert.