Webwecker Bielefeld: gemein

Gemeine Politiker (05.04.2006)



Der aktuelle Schmusekurs in der großen Koalition könnte gar Mindestlöhne bringen. Da etwa Gebäudereiniger und Wachdienstmitarbeiterinnen manchmal so wenig verdienen, dass sie auf Unterstützung nach Hartz IV angewiesen sind, kann sich jetzt auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff für Mindestlöhne erwärmen. Steht uns jetzt die soziale Gerechtigkeit ins Haus? Nein, meint Mario A. Sarcletti, denn nach dem Willen der CDU soll der Mindestlohn auf dem Niveau von Hartz IV sein. Das findet er gemein.


Au ja: Hartz IV für alle. Endlich wird das umgesetzt, was den Standort Deutschland nach vorne bringt: Arbeitsdienst für alle, von seiner Hände Arbeit kann deshalb trotzdem nicht jeder leben, ist aber egal. Denn: Du bist Deutschland. Froh musst du sein, deine Haut zum Arbeitsmarkt tragen zu können. Nur so kannst du Teil der Volksgemeinschaft sein, die den Standort Deutschland ganz nach vorne bringt. Das ist zumindest bei schwarz-rosa Konsens, FDP und die Grünen, die Hartz IV ja auch mitgetragen haben, werden damit wohl auch keine Probleme haben.

Dass Christian Wulff Mindestlöhne auf der Höhe der Hartz-IV-Almosen vorschweben, ist da nur konsequent. Das Konzept der rot-grünen Architekten der »Arbeitsmarktreformen« setzt er damit prima um: Wollte die alte Bundesregierung – natürlich im Konsens mit der damaligen Opposition - durch Hartz IV die Löhne regulärer Arbeitskräfte durch die Konkurrenz zu den »zusätzlichen und gemeinnützigen« Stellen senken und deren Willfährigkeit gegenüber dem »Arbeitgeber« sichern, schiebt Christian Wulff Hartz IV einfach direkt in den ersten Arbeitsmarkt. Es ging und geht ja um den Standort. Arbeitsdienst für alle.

Übrigens ihr Arbeitsmarktstrategen: Gemeinnützig heißt nicht, dass etwas gemeinen Menschen nützt, sondern der Allgemeinheit. Hat Wulff das vielleicht missverstanden? Vielleicht könnte man Politikern wie ihm aus zwei Gründen Hartz-IV-Empfänger als Berater zukommen lassen: Erstens würden die vielleicht noch eher das Gemeinwohl im Blick haben, also gemeinnützig und nicht gemein denken, reden und handeln. Denn immerhin wissen die 1-Euro-Jobber noch eher, was den gemeinen, also den normalen Bürger drückt. Und zusätzlich wären die Jobs wohl auch: Denn wahlweise könnten sie wahlweise Herz oder Hirn der Berufspolitiker ersetzen.

Die Maßnahme könnte im Übrigen für das Gemeinwesen durchaus mehr als kostenneutral sein. Die Hartz-IV-Mindestlohn-Kräfte in ihrem Büro könnten Politiker der ersten Reihe durchaus aus der berühmten Kaffeekasse bezahlen. Denn immerhin verdienen - nö erhalten - Bundestagsabgeordnete pro Tag mindestens das, was einem Hartz-IV-Empfänger im Monat zur Verfügung steht. 10.656 Euro erhalten sie pro Monat allein an Diäten und Kostenpauschale, macht in Monaten mit 31 Tagen 343 Euro pro Tag. 345 Euro müssen einem Hartz-IV-Empfänger im Monat reichen. Die Nebenbezüge der Politiker als Aufsichtsräte und sonstige Lobbyisten sind in dem Vergleich übrigens noch gar nicht eingerechnet.

Und da fällt mir noch eine Sparmaßnahme ein, die den Standort Deutschland nach vorne bringen könnte: Wie wär’s denn mit ehrenamtlichen Politikern? Die Nebeneinkünfte müssten doch reichen, liegen wahrscheinlich locker über 345 Euro, vielleicht sogar pro Tag, oder Herr Wulff. Hey, auch in vielen anderen Laienspielgruppen machen die Hauptdarsteller schließlich ehrenamtlich mit. Und auch bei denen heißt das Motto oft: Avanti Dilettanti! Und mit denen könnten Sie, Herr Wulff, sich doch durchaus gemein machen. Gemein wie Sie sind.