Webwecker Bielefeld: Pharma-Kampagne feiert 25-jähriges Jubliläum (13.09.2006)

Pharma-Kampagne feiert 25-jähriges Jubliläum (13.09.2006)



Die Straßentheatergruppe Schluck & weg reist jedes Jahr im Auftrag der Pharma-Kampagne durch Deutschland. In Bielefeld tritt sie am Freitag, 15. September, zwischen 15-18 Uhr auf dem Siegfriedplatz und am Samstag, 16. September, 19 Uhr vor dem Jugendgästehaus Tor 6 auf. Ihr 20-minütiges Stück nimmt den Mangel an lebenswichtigen Medikamenten und den Überfluss an sinnlosen Produkten aufs Korn.



Einiges erreicht, aber auch noch viel zu tun: Jörg Schaaber, Geschäftsführer der BUKO Pharma-Kampagne. Foto: Christian Wagner

Die BUKO Pharma-Kampagne wird in diesem Jahr 25 Jahre und feiert dies am kommenden Wochenende mit einem Symposium im Jugendgästehaus. Im Mittelpunkt der Arbeit der Pharma-Kampagne steht bis heute die Gesundheitsversorgung in den Ländern des Südens. Das Engagement der Pharma-Kampagne sorgte in den vergangenen Jahre immer wieder dafür, dass deutsche Firmen gefährliche Medikamente in Ländern der Dritten Welt vom Markt nahmen. Sie erreichte unter anderem die Einführung eines Exportkontrollgesetzes für Medikamente und verhinderte erfolgreich, dass das Werbeverbot für rezeptpflichtigen Medika­mente gekippt wird.

In den vergangenen Jahren geriet auch zunehmend die Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik in den Fokus. Die Pharma-Kampagne ist seit 1981 im Bielefelder Welthaus beheimatet. Für sie arbeiten zur Zeit sechs Mitarbeiter, überwiegend in Teilzeit. Hinzu kommen viele Ehrenamtliche wie die Straßentheatergruppe oder Experten, die ihr Wissen kostenlos zur Verfügung stellen.

Der WebWecker sprach mit Jörg Schaaber, Geschäftsführer der Pharma-Kampagne seit Beginn an, über die Geschichte der Institution und ihre Arbeitsschwerpunkte in der Vergangenheit und in der Gegenwart.

 

Interview Manfred Horn

WebWecker: Wie ist die BUKO Pharma-Kampagne vor 25 Jahren entstanden?

Jörg Schaaber: Die Pharmakampagne ist Teil der BUKO, der Bundeskoordination Internationalismus. Auf dem jährlichen Kongress Ende 1980 gab es eine Reihe von Berichten von aus Ländern des Südens zurückgekehrten Entwicklungshelfern und Wissenschaftlern, die sich praktisch und theoretisch mit der dortigen Gesundheitsversorgung beschäftigt haben. Sie haben riesige Probleme gesehen: Wichtige Medikamente fehlten, zugleich wurden unsinnige Präparate verkauft. Deutsche Firmen waren daran beteiligt. Das war der Anlass, die Pharmakampagne ins Leben zu rufen. 1981 hat sie im Welthaus Bielefeld mit der Arbeit begonnen.


Warum ist die Pharmakampagne ausgerechnet in Bielefeld angesiedelt worden?

Das war eine Zeit, wo Initiativen und Solidaritätsarbeit noch nicht sehr professionalisiert waren, fast alles wurde ehrenamtlich gemacht. Die BUKO hatte in Hamburg eine kleine Geschäftsstelle, zu der Zeit gab es überhaupt nur eine Person, die für die BUKO gegen Geld gearbeitet hat. Die Gruppen, die mitgemacht haben, wurden gefragt, wer eine solche Arbeit überhaupt tragen kann. Und da hat sich damals das Welthaus Bielefeld bereiterklärt, den Aufbau der Geschäftsstelle der Pharmaampagne in die Hand zu nehmen. Der Anfang im Welthaus war sehr provisorisch. Die ersten Monate habe ich mir einen Schreibtisch geteilt, erst später haben wir eine ganze Etage im Welthaus bezogen.


Am Anfang standen die armen Länder der Dritten Welt im Vordergrund. Aber die Themen haben sich im Laufe der Jahre auch hin zur Ersten Welt entwickelt.

Die Länder des Südens mit ihrer mangelhaften Versorgung standen tatsächlich zunächst im Vordergrund. Wir haben aber früh bemerkt, dass es viele Verbindungen zu dem gibt, was hier auf dem Arzneimittelmarkt passiert. Wir haben schon damals untersucht, was deutsche Firmen in den Ländern des Südens anbieten und was davon unsinnig oder gefährlich ist. Problematische Produkte waren nämlich zum Teil auch noch hierzulande erhältlich. Es handelte sich um Arzneimittel, die schon vor 1978, der Einführung wirksamer Kontrollen, auf dem deutschen Markt waren. Das war ein echtes Problem für uns: Wenn wir den Verkauf von bestimmten Medikamenten in Ländern des Südens kritisierten, haben die Unternehmen geantwortet: ›Wieso, das ist in Deutschland doch auch noch erlaubt‹. So haben wir damit begonnen, auch in die deutsche Gesundheitspolitik eingreifen.


Ein Ergebnis ist wahrscheinlich auch die Zeitschrift ›Gute Pillen, schlechte Pillen‹.

Das ist der direkte Ausfluss der Überlegung, dass hier nicht genug getan wird, um Verbraucher unabhängig aufzuklären. Wir haben uns für dieses Projekt Partner gesucht, mit denen wir schon seit Jahren zusammenarbeiten: Das ›arznei-telegramm› und den ›Arzneimittelbrief‹, die beiden größten unabhängigen Arzneimittelzeitschriften in Deutschland, die sich an Ärzte und Apotheker richten.


AIDS wurde 1981 identifiziert, war die Krankheit von Beginn an ein Thema für die BUKO Pharma-Kampagne?

Zu Anfang war es indirekt ein Schwerpunkt. Das erste Thema der Pharma-Kampagne war nämlich der Handel mit menschlichem Blutplasma. Da ging es um die Ausbeutung von Körpern. Menschen wurden dazu verleitet, zu häufig Blut zu spenden. Dies geschah teilweise direkt in Dritte Welt Ländern wie Nicaragua, Kolumbien oder Mexiko, im großen Umfang aber auch an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Die Menschen gingen über Jahre illegal über die Grenze, unter Duldung der Grenzpolizei, um sich dann in den USA Blutplasma abzapfen zu lassen. Das war ein großer Skandal, in gewissen Umfang gibt es den leider bis heute.

Aber es war ein auch ein gesundheitliches Problem: Das kommerzielle Sammeln von Blutplasma zog vor allem arme Menschen an, die überdurchschnittlich häufig krank sind. Das Risiko, sich Hepatitis zu holen, war damals schon da. Und zwar bei denjenigen, die aus dem Blut gewonnenen Medikamente einnahmen. Bevor der Name AIDS bekannt war, hatte die Plasmaindustrie schon Besorgnis über merkwürdige Erkrankungen. Später hat sich herausgestellt, dass es sich um AIDS handelte. Wir haben aus Gründen des Gesundheitsschutzes auf beiden Seiten – derjenigen die spenden oder derjenigen, die die Medikamente bekamen – dafür plädiert, das kommerzielle Blutspenden einzustellen, weil es auch gemeinnützige Sammelsysteme gibt, die viel besser sind. Die damals schnell gefundene Möglichkeit, HIV im Blutplasma zu identifizieren, hat unsere Forderungen aber blockiert. Die Politik hat dann nicht mehr die unbedingte Notwendigkeit gesehen, diese kommerziellen Sammelsysteme anzugehen.

In späteren Jahren, bis heute, standen die Möglichkeiten einer AIDS-Behandlung im Vordergrund unserer Arbeit zu AIDS. Die Behandlung gehört in reichen Ländern längst zum Standard. Sie ermöglicht den Betroffenen ein einigermaßen akzeptables Überleben über viele Jahre. Aber nur wenige Menschen in der Dritten Welt haben Zugang zu dieser Behandlung. Das ist nach wie vor ein Skandal.

 

Also wird die Pharmakampagne noch viele Jahre weiter arbeiten müssen?

Ich fürchte, wir werden nicht arbeitslos. Aber auch wenn jetzt Fortschritte in der Behandlung von AIDS in armen Ländern sichtbar sind, werden dennoch drei von vier Kranken nicht behandelt. Und: Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Probleme auf dem Arzneimittelmarkt. Die richtigen Medikamente werden teilweise erst gar nicht entwickelt, weil es keinen großen Markt dafür gibt. Da ist noch viel zu tun.


Die BUKO als bundesweite Organisation ist finanziell schwer angeschlagen. Wie ist die Situation bei der Pharma-Kampagne?

Unsere finanzielle Situation ist nicht so schlecht wie die des BUKOs insgesamt. Aber wir sind auch sehr stark von Mittelkürzungen betroffen, so dass einige Aktivitäten nicht durchgeführt werden können. Wir haben etwa ein Programm mit Schulunterrichtseinheiten zum Thema Gesundheitsversorgung und Dritte Welt. Wir hätten das gerne fortgesetzt, nicht nur mit Materialien sondern in Form konkreter Aktionen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Fortsetzung ist aber vertagt, weil die Stiftung, die das finanzieren wollte, derzeit kein Geld hat.


Weitere Informationen: www.bukopharma.de
Der Pharma-Brief: www.bukopharma.de
Gute Pillen, Schlechte Pillen: gutepillen-schlechtepillen.de

Anlässlich ihres 25-jährigen Jubiläums will die gesundheitspolitische Organisation mit einem Symposium zum Thema Mangel und Überfluss – Medikamente in Nord und Süd in die Zukunft schauen. Die Veranstaltung mit zahlreichen internationalen ExpertInnen findet am 15. und 16. September im Bielefelder Jugendgästehaus statt. Gäste sind willkommen. Das genaue Programm finden Sie auf den Seiten der Pharma-Kampagne. Eintritt 80 Euro/ 40 Euro ermäßigt. Für einen Tag 60/30 (inklusive Essen).