Webwecker Bielefeld: Sprung in die neue Familie (27.09.2006)

Sprung in die neue Familie (27.09.2006)



Künftig zusammen unter einem Dach: Die Wahlfamilier Monika Detering, Bruno Peters und Helga Vormfeld


Von Manfred Horn

Eine Familie der freien Wahl. Davon träumen vielen, denen eine fehlt – oder die sich verzweifelt mit ihren Blutverwandten herumschlagen. Bielefelder gründtenen 1999 den Verein ›Wahlfamilie‹. Die Mitglieder haben ihr Ziel nun erreicht: Wohnen und Leben unter einem gemeinsamen Dach.

Jahrelang trafen sich die Vereinsmitglieder in der Bürgerwache. Als ein Rollstuhlfahrer zur Gruppe stieß, war es damit vorbei. Denn der Gruppenraum im ersten Stock war mit einem Rolli nicht zu erreichen und der Raum im Erdgeschoss belegt. »Wir waren aber immer sehr gerne in der Bürgerwache, sie war unser Vereinslokal«, blickt Bruno Peters zurück.

Bruno Peters ist seit der Vereinsgründung dabei. Heute steht er zusammen mit seinen Wahlverwandten im nagelneuen Haus. Sie beraten, wie der Gemeinschaftsraum gestaltet werden soll. Am Tegeler Weg, einem Neubau-Gebiet mit dem schönen Namen ›Hof Hallau‹ in Sichtweite zur Universität, fand der Verein nach langem Suchen eine geeignete Stelle und mit der Ravensberger Heimstättengesellschaft einen willigen Bauträger. Von Anfang an war den Vereinsmitgliedern klar, dass ein Hauskauf nicht in Frage kommt: »Zu viel Risiko«, meint Bruno Peters. Wer wisse schon, ob sich die Bewohner nach einem Jahr noch grün sind.

 

Wahlfamilie mit Schwund

Im November 2005 rückten die Bauarbeiter an, nun, elf Monate später, zieht die Wahlfamilie ein. Die fällt kleiner aus als geplant: In den vergangenen Wochen entschieden sich einige, doch in ihren alten Wohnungen zu bleiben. So belegt die Wahlfamilie nur sieben Wohnungen. Damit das dreistöckige Haus voll wird, hat der Verein ›Alt und Jung‹ die restlichen sechs Wohnungen angemietet. Dort wohnen künftig von ›Alt und Jung‹ betreute Senioren.

»Ich will mich einfach nicht mehr alleine fühlen«, sagt die 67-jährige Wahlfamilierin Helga Vormfeld. Sie wohnte bisher in Steinhagen. Alleine, denn ihre eigentliche Familie hat sich längst aufgelöst. Die Gedanken an den nahen Umzug stürzen ihre Gefühlswelt ins Chaos. Mit der neuen Wohnung tauscht sie Vertrautes gegen Unbekanntes ein. Da entstehen Ängste. Von den Älteren bringt niemand WG-Erfahrungen mit.

Jeder Mieter hat seine eigene Wohnung, zwischen 47 und 74 Quadratmeter groß. Eine WG-light. »Solche Rückzugsräume sind wichtig«, sagt Peters. Für ihn ist die neue Wohnform auch Vorsorge: »Ich hoffe, wir unterstützen uns gegenseitig, wenn es nötig wird«. Die Voraussetzungen sind gut, denn zur Wahlfamilie, zumeist Menschen im Rentenalter, gehört auch eine junge Frau mit Tochter.

 

Öffentlichkeit erwünscht

Zusammenkommen will die Wahlfamilie im Gemeinschaftsraum. Der hat auch eine eingebaute Küche. 62.000 Euro schoss die Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes NRW zu. Dadurch konnte die Kücheneinrichtung gekauft und die Miete für den Raum, die alle zusammen zahlen, um die Hälfte gemindert werden. Der Raum soll aber auch die Tür nach außen sein. So plant die Neufamilie dort nicht nur interne Koch-, Lese- oder Spieleabende, sondern auch öffentliche Lesungen.

Besucher können das Haus von weitem erkennen: »Die Fassade hat Masern«, sagt Monika Detering, eine weitere künftige Mieterin in dem Haus am Tegeler Weg. Die Klinker der Hauswand changieren irgendwo zwischen Gelb und Rot. »Darauf hatten wir leider keinen Einfluss«, bedauert sie.

Andere Dinge konnten die künftigen Bewohner aber bestimmen. Ursprünglich wollte der Bauträger die Balkone zur Südseite bauen. Dort scheint zwar die Sonne, aber da rattert auch die Straßenbahn. Also setzte die Wahlfamilie durch, dass die Balkone gen Norden ausgerichtet wurden. »Da blicken wir ins Grüne«, sagt Detering und schiebt ein »noch« hinterher. Denn sollte der Uni-Erweiterungsbau kommen, wird das Grün verdeckt sein. Auch richtete der Vermieter auf Wunsch einen Raum ein, in dem Elektrorollstühle an die Steckdose können. Das ganze Haus ist barrierefrei konzipiert.

 

Info: Im Frühjahr 2007 soll in der Senne der erste Bielefelder Beginenhof entstehen. Weitere Informationen über das Frauenwohnprojekt, das ebenfalls gemeinsames Leben und Wohnen anstrebt, im Netz unter www.bielefelder-beginen-hoefe.de

Der Artikel entstand in Kooperation mit ›Viertel‹. der Stadtteilzeitung des Bielefelder Westens. Die nächste Ausgabe erscheint Ende September. Sie ist unter anderem beim Flohmarkt auf dem Siegfriedplatz am Samstag, 30. September, erhältlich, danach in der Bürgerwache und einigen Geschäften im Westen.