Webwecker Bielefeld: Glückspiel ist eine teure Sucht (18.10.2006)

Glückspiel ist eine teure Sucht (18.10.2006)



Viele Menschen sind glückspielsüchtig. Die Fachstelle hat deshalb ihr Personal aufgestockt. Foto: Werner Küper


Gleich bei seiner ersten Sportwette im Jahr 2000 gewann der 17-jährige Jan P.* mehr als das Zehnfache seines Einsatzes: Aus 20 Mark machte er 250. Doch das Glück verließ ihn schnell. Noch im selben Jahr hatte er bereits 12.000 Mark Schulden. Nach wenigen Monaten spielte Jan P. täglich, er brach zwei Ausbildungen ab, verlor den Bezug zum Geld und zur Realität, verstrickte sich in illegale Geschäfte. Und landete als 21-Jähriger schließlich bei Frank Gauls – in der Fachstelle Glücksspielsucht des Ev. Gemeindedienstes im Evangelischen Johanneswerk.

Jan P. ist kein Einzelfall – im Gegenteil. Zwölf Prozent aller Glücksspielsüchtigen verzocken ihr Geld bei Sportwetten. Und: Vor allem Jugendliche lassen sich gerne darauf ein. Der Altersdurchschnitt der Klienten ist deshalb in den vergangenen zwei Jahren um zehn Jahre gesunken. Der Schwerpunkt liegt heute bei den 20 bis 30-Jährigen. Die Nachfrage nach Beratung wächst mit der Zunahme von Spielmöglichkeiten. »Das konnten wir einfach nicht mehr bewältigen«, sagt Frank Gauls. Die Fachstelle Glücksspielsucht wurde deshalb um eine halbe Stelle verstärkt und damit auf eineinhalb Stellen erweitert. »Das bedeutet vor allem kürzere Wartezeiten für Beratungstermine«, weiß der Diplom-Sozialarbeiter. »Für Suchtkranke ist das wichtig, denn sie verlieren ihre Motivation zur Behandlung genauso schnell wie ihr Geld.« 

Geld verlieren die Betroffenen nicht nur schnell, sondern in rauen Mengen. Die Schuldenhöhe der Klienten reicht in Einzelfällen bis zu einer Million Euro. Besonders gefährlich ist das für Menschen, die in ihrem Beruf Zugang zu Geld haben. »Wir hatten schon einen Autohändler, der beim Verkauf eines Wagens 40.000 Euro unterschlagen hat. Glücksspielsucht ist die teuerste aller Süchte«, erzählt Gauls 


Sportwetten boomen weiter

Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2006 festgestellt, dass das staatliche Monopol für die Durchführung von Sportwetten nur dann gerechtfertigt ist, wenn es der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht dient. Diese Auflage sah das Mindener Verwaltungsgericht nicht erfüllt, weil Sportwetten auch vom staatlichen Anbieter »Oddset« immer noch als lukrative Freizeitbeschäftigung dargestellt werden. Es entschied, anders als andere Gerichte, dass private Wettbüros in seinem Zuständigkeitsbereich vorerst nicht geschlossen werden dürfen. Auch nicht in Bielefeld. In dieser Grauzone existieren derzeit alleine in Bielefeld rund 40 Sportwettbüros. »Dieses große Angebot hat Folgen«, weiß Gauls. »Mit dem Glücksspielangebot wächst auch die Anzahl der süchtigen Spieler.« Auch zweifelt er daran, dass der Schutzgedanke wirklich konsequent umgesetzt werden soll. Kein Wunder: 4,5 Milliarden Euro verdiene der Staat jährlich an offiziell abgeführten Steuern für Glücksspiel, erklärt er. »Das bedeutet eine Milliarde Euro mehr als durch Steuern auf Alkohol.«

Die Folgen die Mitarbeiter der Beratungsstelle deutlich zu spüren. Etwa 150 Klienten betreut die Fachstelle Glücksspielsucht pro Jahr – nicht nur die Süchtigen, sondern auch deren Angehörige. Betroffene können hier Erstaufklärung, Beratung und Therapie in Anspruch nehmen. Wer sich für eine Behandlung entscheidet, kann sich in ambulante Rehabilitation begeben – eine Behandlungsform, in der der Gemeindedienst in Deutschland zu den Vorreitern gehört. Hier wird die Hintergrundproblematik beleuchtet, Handlungsalternativen werden erarbeitet, man kümmert sich um die Schulden und die Einstellung zum Geld. »Ziel ist eine stabile Grundlage für ein suchtmittelfreies Leben«, sagt Gauls.

Spielsucht lässt sich dabei zwar schlechter behandeln als Alkoholismus, aber besser als Sucht nach illegalen Drogen. Etwa ein Drittel der Behandelten hört mit dem Spielen auf und erleidet keinen Rückfall, so schätzt Gauls es aus seinem Erfahrungsschatz. »Es lohnt sich.«

* Name geändert.  Kontakt: Fachstelle Glücksspielsucht, Schildescher Str.101, Tel.: 0521 801-2714