Webwecker Bielefeld: Verbot für Verein der Holocaustleugner? (15.11.2006)

Verbot für Verein der Holocaustleugner? (15.11.2006)



Diskutierten über das Collegium und wie wehrhaft die institutionelle Seite ist. (v.l.n.r.) Sebatsian Edathy MDP (SPD), Moderator Dr. Zbigniew Wilkiewicz, Annelie Buntenbach, Wolfgang Aßbrock MdL (CDU).

 

Am vergangenen Freitag diskutierten in Vlotho Bürger und Politiker über Möglichkeiten, der dort angesiedelten rechtsextremen »Bildungsstätte« Collegium Humanum den Garaus zu machen. Da am Wochenende auch der »Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten« seine Jahresversammlung im Collegium abhielt, bestand die Befürchtung, dass die Alt- und Neonazis die Podiumsdiskussion stören könnten. Tatsächlich versuchten Horst Mahler und Konsorten in das Weser-Gymnasium zu gelangen, starke Polizeikräfte konnten aber die meisten daran hindern.

 

Von Mario A. Sarcletti

 

»Ist der demokratische Staat wehrhaft oder wehrlos, wenn es um das »Collegium Humanum« geht?«, war die Frage, der etwa einhundert Bürger im Saal, sowie Annelie Buntenbach vom DGB, Sebastian Edathy MdB (SPD), Wolfgang Aßbrock MdL (CDU) und Vlothos Bürgermeister Bernd Stute auf dem Podium nachgehen wollten. Das Seminarhaus auf dem Vlothoer Winterberg ist eines der Zentren des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, der dort vor drei Jahren gegründete »Verein zur Rehabilitierung der wegen des Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV)« vereint die führenden Holocaustleugner.

 

Natürlich fällt bei der Podiumsdiskussion auch das Wort Zivilcourage. Wie die konkret aussieht, zeigt Annika, eine Achtklässlerin aus Vlotho. Sie will wissen, was sie als junges Mädchen denn gegen Rechtsextremismus tun kann. Als sie ihre Frage stellt, labert Bernhard Schaub, Vorsitzender des VRBHV, hinter ihr gerade seinen Sitznachbarn voll. Das zierliche Mädchen mit Zahnspange dreht sich um und herrscht den Holocaustleugner an: »Können Sie jetzt bitte ruhig sein«. Dass Annika die Tipps vom Podium, sich an Demonstrationen zu beteiligen, Transparente zu malen und vor allem sich und andere zu informieren, beherzigen wird, ist bei ihrer Zivilcourage sehr wahrscheinlich.

 

Die Aufforderung ruhig zu sein, hatte Schaub an dem Abend kurz zuvor schon einmal gehört. Er ist einer von etwa einem halben Dutzend Rechter, die durch provokante Fragen die Veranstaltung stören wollen. Da moniert einer, dass er bei der Veranstaltung gerne Schriften des Collegiums Humanum gesehen hätte, ein anderer wollte gar einen Vertreter der Nazis vom Winterberg auf dem Podium sehen. Schaub schließlich fordert die Anwesenden allen Ernstes dazu auf, auch Argumente für das Collegium zu sammeln und nicht nur dagegen, das wäre demokratisch. Dass ausgerechnet einer, der mit seinen Kumpanen die Demokratie abschaffen will, demokratische Prinzipien für sich fordert, führt zu Empörung im Saal.

 

 

Platzverweise für Nazis

 

Es gelingt den Provokateuren aber nicht die Versammlung zu stören. Dies liegt auch daran, dass etwa zwei Dutzend von ihnen draußen bleiben müssen. Polizeibeamte erteilen den Rechten, unter ihnen Klaus Weichhaus, Ursula Haverbeck und Horst Mahler, Platzverweise. Der gibt in Vlotho seine einstweilige Abschiedsvorstellung, am 15. November muss er für neun Monate ins Gefängnis, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Befassung mit einer Verfassungsbeschwerde des ehemaligen NPD-Anwalts abgelehnt hat. Er war im vergangenen vom Berliner Landgericht wegen Volksverhetzung verurteilt worden, weil er mit einem Pamphlet Hass gegen Juden geschürt haben soll. Unter anderem soll er darin den Hass auf Juden »als untrügliches Zeichen eines intakten spirituellen Immunsystems« bezeichnet haben. Das Verfassungsgericht sollte nach  Mahlers Willen unter anderem diese Äußerung als durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt einordnen.

 

Dass dies eine gängige Strategie der Rechtsextremen ist, beschrieb Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand in ihrem Einführungsstatement. »Die Leugnung des Holocaust ist aber keine Meinungsäußerung«, stellte sie klar. »Sie ist eine Verhöhnung der Todesopfer und der Überlebenden des Holocaust«, fügte sie hinzu. Die ehemalige Bielefelder Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen beschrieb, dass die »wehrhafte Demokratie« zwei Komponenten benötige. Zum einen eine institutionelle Seite, also Politik, Justiz und Exekutive, zum anderen die »Zivilgesellschaft«. »Was die angeht ist Vlotho sehr gut aufgestellt«, lobt sie die Initiativen, mit denen sich die Vlothoer gegen die Nazis vom Winterberg wehren und gleichzeitig auch die Erinnerung an die Shoa wach halten.

 

Weniger gut sieht es allerdings nach ihrer Ansicht auf der institutionellen Seite im Kampf gegen das Collegium aus, auch wenn in Vlotho Bürgermeister Stute und alle Parteien darin vereint sind. Vor allem die Justiz bekommt von Buntenbach Schelte. Sie berichtet, dass sie bereits vor drei Jahren Anzeige gegen Klaus Weichhaus erstattet hat, der auf seiner Internetseite mit dem Satz »Den Holocaust hat es nicht gegeben« offen gegen deutsche Gesetze verstößt. »Noch heute ist dieser Satz da zu lesen«, kritisiert Buntenbach die Staatsanwaltschaft. Dabei verliere sich die Spur des Autors nicht irgendwo im Internet. »Der ist sogar mit einem Foto abgebildet«, wundert sich Buntenbach. Tatsächlich ist auf der Seite auch ein Berliner Postfach und die »Funktelefonnummer« des Holocaustleugners angegeben.

 

Buntenbach kritisiert aber auch die Behörden vor Ort. »Schon die Einladungen zu den Seminaren weisen Straftatbestände auf«, erklärt sie. Dennoch gehe die Polizei nicht gegen diese Nazi-Treffen vor, immer mit der Begründung, dass es nicht-öffentliche Veranstaltungen seien. »Aber immerhin wird dafür in einer Zeitschrift mit einer Auflage von 3000 Stück geworben«, gibt Buntenbach zu bedenken, auch im Internet komme man an die Einladungen heran.

 

 

Gemeinnützige Nazivereine?

 

Ein weiteres Ärgernis für sie ist, dass der Verein Collegium Humanum als gemeinnützig anerkannt ist. Dadurch sind zwanzig Prozent einer Spende an den Verein steuerlich absetzbar. »Wenn jetzt ein Nazi 100 Euro an den Verein spendet, bekommt er vom Staat 20 Euro wieder«, rechnet Buntenbach vor. Ein ehemaliger Schüler des Weser-Gymnasiums nennt  diese Tatsache »beschämend«.

 

Ein Schritt gegen das Collegium Humanum müsse sein, die Gemeinnützigkeit zu überprüfen, erklärt Buntenbach. Ein von ihr initiierter Versuch, dem Collegium und anderen rechtsextremen Vereinigungen die Gemeinnützigkeit zu entziehen sei aber im »Gestrüpp von Steuergeheimnis und Finanzbehörden« gescheitert. Neben der Aberkennung der Gemeinnützigkeit könne ein Verbot ein Mittel gegen das Collegium sein, »auch wenn man mit Verboten vorsichtig umgehen muss«, wie sie findet. »Aber bei einem Verbot könnte man das Vereinsvermögen und das Haus beschlagnahmen und den Holocaustleugnern die organisatorische Basis entziehen«, argumentiert sie in diesem Fall für ein Verbot.

 

»Ich halte das für unmöglich, dass hier die Gemeinnützigkeit anerkannt wurde«, findet auch Sebastian Edathy. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags will sich auch für ein Verbot des Vereins Collegium Humanum und des vor drei Jahren ausgerechnet am 9. November gegründeten VRBHV einsetzen. »Ich werde nach dieser Veranstaltung sowohl Innenminister Schäuble als auch den nordrhein-westfälischen Innenminister Wolf in dieser Frage kontaktieren«, verspricht der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestags. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Verein, der sich die strafbare Leugnung des Holocaust zur Hauptaufgabe gemacht hat, dauerhaft existiert«, gibt er sich bezüglich eines Verbotsverfahrens optimistisch.

 

Neben Repression und Intervention sei aber vor allem auch Prävention nötig, vor allem Bildung sei im Kampf gegen Rechtsextremismus hilfreich. »Denn Demokratie wird nicht vererbt, Demokratie muss erlernt werden«, sagt Edathy. Und die bedrohe der Rechtsextremismus, der deshalb die zentrale Herausforderung für sie sei. Etwa 50.000 Menschen in diesem Land hätten ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, beschreibt er das Bedrohungspotenzial, 10.000 davon sind nach Edathys Einschätzung gewaltbereit. Zwar seien Aussteigerprogramme für diese wichtig, so Edathy, »aber zehn Mal wichtiger ist es, den Einstieg zu vermeiden«, beschreibt er seine Prioritäten.

 

 

Auch Vertreter der CDU sieht behördliche Defizite

 

Wolfgang Aßbrock, Herforder Landtagsabgeordneter der CDU ist sich mit Edathy einig, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus auch Mittel brauche, verschweigt dabei aber, dass seine Parteifreunde im Bund genau diese Mittel ursprünglich kürzen wollten. Erst Proteste gegen die Pläne sorgten dafür, dass der Etat für den Kampf gegen Rechtsextremismus 2007 von 19 auf 24 Millionen erhöht wird. Auch Aßbrock freut sich über das Engagement der Vlothoer gegen das Collegium, auch wenn er, »das sehen sie mir an«, kein Antifaschist sei, auch er spricht sich für ein Verbot des Vereins aus, die Gründe dafür sind seiner Meinung nach gegeben. Und auch er sieht Defizite in der staatlichen Bekämpfung solcher Institutionen. »Die Berichte des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sind außerordentlich dürftig«, findet Aßbrock und zitiert aus dem Bericht für 2005, nach dem »tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf rechtsextremistische Bestrebungen« bestehen würden. Die sehr weiche Formulierung kritisieren auch einige Vlothoer Bürger. Einer bedankt sich bei Aßbrock, dass der mehrfach daraufhingewiesen hat, dass er aus dem Verfassungsschutzbericht zitiert. »Sonst hätte ich geglaubt, das kommt aus einer Satirezeitschrift«, erklärt er aufgebracht.

 

Aßbrock zitiert auch aus der Rede, die Bundespräsident Köhler bei der Eröffnung der neuen Synagoge in München hielt. »Die Verpflichtung jedes einzelnen von uns ist es, sich einzumischen und zu handeln, um zu verhindern, dass Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft oder ihres Aussehens beleidigt, verletzt oder gar ermordet werden«, ist eine der Passagen, die Aßbrock daraus vorliest. Angesichts der Toten und Verletzten, die der rassistischen Gewalt seit der Wiedervereinigung zum Opfer gefallen sind ein sicherlich nötiger Appell.

 

Die Notwendigkeit dieses Aufrufs zeigt auch die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung, auch aus ihr zitiert Wolfgang Aßbrock. Das stellvertretende Mitglied des Innenausschusses des Landtags nennt die Studie »erschreckend«. So habe ihn schockiert, dass 15 Prozent der Befragten die Aussage unterstützen: »Die Ausländer kommen nur hierher um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Dass diese fünfzehn Prozent sich etwa auch durch einen Günter Beckstein legitimiert fühlen, erwähnt Aßbrock aber nicht. Die Aussage des bayrischen Innenministers im Focus, »Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen«, kommt der Formulierung in der Studie schon sehr nahe.

 

 

Bürgermeister fordert konsequente Anwendung bestehender Gesetze

 

Auch Bürgermeister Stute bezog sich auf die Studie, die nach seiner Ansicht mit vielen Vorurteilen aufräume. So wird die landläufige Meinung widerlegt, dass Rechtsextremismus ein Problem Ostdeutschlands sei. So haben danach lediglich gut sechs Prozent der ostdeutschen Jugendlichen ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild«, im Westen wird dies mehr als neun Prozent zugeschrieben. »Das Problem ist nicht mit Polizei- und Ordnungsrecht zu lösen«, erklärt Stute, der aber auch – wie die restlichen Mitglieder des Bündnisses gegen das Collegium Humanum – für eine Schließung der Einrichtung einsetzt. »Die bestehenden Gesetze müssen konsequent angewendet werden«, fordert auch er von Polizei und Justiz. Aber letztlich setzt auch er auf Bildung: »Wir müssen verhindern, dass die Nachwuchs kriegen«, sagt Stute und erklärt: »Dann trocknet das aus, weil es da ja auch natürlichen Abgang gibt«.

 

Das Fazit der Podiumsdiskussion zog wiederum Annelie Buntenbach: »Ich glaube schon, dass auch die institutionelle Seite wehrhaft ist, sie muss einfach früher aufstehen«, erklärte sie. Wolfgang Aßbrock stimmte ihr zu: »Ich glaube die Behörden können mehr tun und vielleicht ist diese Veranstaltung ein Anlass dafür, dass sie mehr tun«, sagte er. Annelie Buntenbach sieht auch hier die Zivilgesellschaft gefordert: »Zu dem was sie tun kann, gehört auch, dass sie den Institutionen Beine macht«, appellierte sie an die versammelten Bürger, den Behörden Druck zu machen.

 

Ein Beispiel dafür lieferte die Veranstaltung am Freitag: Als im Vorfeld die Befürchtung aufkam, dass die Holocaustleugner die Podiumsdiskussion sprengen wollten, forderte das Bündnis gegen das Collegium Humanum verstärkten Polizeischutz an. So endete der Abend für vier Nazis im Polizeigewahrsam, unter anderem für die Rechtsanwältin Silvia Stolz, die jüngst den Holocaustleugner Ernst Zündel im Prozess in Mannheim vertreten hat, bis sie von der Verhandlung ausgeschlossen wurde. Auch Horst Mahler konnte sich schon mal auf die kommenden neun Monate einstimmen und verließ das Gelände des Wesergymnasiums im Polizeiwagen. In der Pressemitteilung der Herforder Polizei wird er als »Ebersberger« bezeichnet, offenbar hat er sich am Wohnort Stolzs niedergelassen. Für die erfolgreiche Verhinderung von Störaktionen war übrigens – passend zum Abend - auch die Zusammenarbeit von Polizei und Zivilgesellschaft, vertreten durch Antifaschisten, verantwortlich. Die Antifas identifizierten für die Beamten die Rechtsextremen.



Auch Bernhard Schaub, Vorsitzender des »Vereins zur Rehabilitierung der wegen des Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV)«, kam zur Podiumsdiskussion