Tom Lampert, »Ein einziges Leben – Geschichten aus der NS-Zeit«

Aus umfassendem Quellenmaterial recherchiert Tom Lampert Lebensläufe oder Teilaspekte von Lebensläufen unterschiedlicher Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus lebten – und dokumentiert sie in literarischer Form.


„Es wird also ein alter Mann zur Richtstätte geführt. Ein 74jähriger Rentner mit einem Hüftgelenksleiden links, stärkerer Arteriosklerose und Blutdruckerhöhung. Sechs Monate vorher, im Spätsommer 1942, hatte er wiederholt im Inneren der öffentlichen Bedürfnisanstalt am Mariannenplatz in Berlin folgendes an die Wand geschrieben: Hitler, Du Massenmörder, mußt ermordet werden, dann ist der Krieg zu Ende“. Er wird als Volksverräter verurteilt. Ist er ein alter Mann mit verminderter Zurechnungsfähigkeit? Das Opfer einer willfährigen Justiz? Ein Widerstandskämpfer?“ Fragen, die sich unmittelbar nach der Lektüre stellen und nicht so einfach und erst recht nicht eindeutig zu beantworten sind.
Aus umfassendem Quellenmaterial recherchiert Tom Lampert Lebensläufe oder Teilaspekte von Lebensläufen unterschiedlicher Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus lebten. Anstatt Akten zu dokumentieren und zu kommentieren, ein gelungener Kunstgriff: Lampert Präsentiert die Recherche in literarischer –Form. „Die Geschichten sind dennoch streng dokumentarischer Natur. Alle Dialoge sowie sämtliche anderen subjektiven Formen der Erzählung lassen sich durch dokumentarisches Material (wie persönliche Korrespondenz oder Selbstzeugnisse der beteiligen Personen) begründen.“ Das Besondere: die Personen entsprechen nicht unbedingt den Erwartungen, die an sie gerichtet werden. Eigentlich ist das ganz normal, aber gerade in der Auseinandersetzung um die Ursachen des Holocaust herrscht immer noch ein Bedürfnis nach Eindeutigkeiten vor. Offensichtlich fällt es schwer, widersprüchliche Tatsachen zu akzeptieren, Vielschichtigkeiten anzuerkennen, trotzdem festzustellen, wer auf welcher Seite stand bzw. stehen mußte oder auch nicht.