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Tom Lampert, »Ein einziges Leben – Geschichten aus der NS-Zeit« (Teil 2)



Die Personen, um die es geht? Alle eher unbekannte Randfiguren der Geschichte mit sehr unterschiedlichen Schicksalen: Da ist z. B. die Jüdin Mirjam P., die sich mit „Notlügen“ und kleineren Diebstählen durchs Leben schlägt und deshalb als schwer erziehbar eingestuft wird. 1933 wandert sie mit Mutter und Stiefvater nach anderthalbjährigen Aufenthalt in einer Erziehungsanstalt ins sichere Palästina aus. „...P ist entschlossen, ein neues Leben anzufangen und keine Schwierigkeiten mehr zu machen“. Irgendwie gelingt ihr das nicht so ganz in der fremden neuen Heimat, sie wird auch hier ein Fall für die Jugendfürsorge.

Ironie des Schicksals: Zu ihrem eigenen Besten empfehlen unabhängige Ärzte in Israel ihre Rückkehr nach Deutschland. „Sie bedarf auch zur Vermeidung krimineller Konflikte einer möglichst sofortigen Aufnahme in einer geeigneten Anstalt. Da es eine solche hier nicht gibt, ist ihre beschleunigte Überführung nach Deutschland dringend erforderlich.“ 1936 kehrt sie zurück nach Deutschland, da sind die Nationalsozialisten schon drei Jahre an der Macht, die Nürnberger Gesetze bereits seit einem Jahr in Kraft. Durch das „Reichsbürgergesetz“ verloren die deutschen Juden ihre politischen Rechte. Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbot Eheschließungen und außerehelichen Verkehr zwischen arischen Deutschen und Menschen jüdischen Glaubens. Zudem durften JüdInnen nicht mehr in deutschen Haushalten arbeiten. Diese antisemitischen Gesetze und die zunehmend rassistischen Hetze gegen Menschen jüdischen Glaubens, dürfte den Gutachtern, auch den Eltern bekannt gewesen sein. Haben sie nicht mitgekriegt, daß immer mehr Menschen jüdischen Glaubens versuchen, Deutschland zu verlassen und auch nach Palästina emigrieren? Oder ist es der einfachste Weg, die Probleme der Tochter loszuwerden, wegzuschieben?

P. lebt zunächst bei den Großeltern in Berlin. Auf der Suche nach Arbeit gerät sie erneut in Abhängigkeiten und damit einhergehende Konfliktsituationen, unausweichlich: P. gerät auch mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ in Konflikt. Ergebnis, die Fürsorge, in P. Fall die jüdische Wohlfahrt weist sie schließlich im Februar 1938 in eine Nervenheilanstalt ein. Es gibt noch eine Chance, eine kurzfristige Einreiseerlaubnis nach Palästina, vom leiblichen Vater erwirkt. Mittlerweile existieren diverse Beschlüsse und Urteile, P. landet schließlich in der geschlossenen Psychiatrie und wird 1941 im Rahmen der Euthanasie ermordet. Fatal, schrecklich. Eine junge Frau, Jüdin, die versucht ihren eigenen, vielleicht etwas unkonventionelleren Weg zu finden, wird in der Euthanasieaktion ermordet. Vielleicht von den Männern und Einsatzkräften, die nur kurze Zeit später u.a. in den Vernichtungslager Sobibor, Belzec oder Treblinka die europäischen Juden und JüdInnen durch Gas umbringen.