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Tom Lampert, »Ein einziges Leben – Geschichten aus der NS-Zeit« (Teil 3)



Weitere Personen: Der „Humanist“ Wilhelm K., der von den Nazis als Generalkommissar im besetzten Weißruthenien eingesetzt wird. Während unter seinem Befehl mehrere tausend einheimische JüdInnen ermordet werden, setzt er sich zugleich für das Leben einiger deutscher JüdInnen ein, er, überzeugter Nationalsozialist streitet (aus humanistischer Überzeugung) für deren Leben sogar mit Vorgesetzten...Oder der weißrussische Nationalist Dr. Ivan E., der als Kollaborateur in der Zivilverwaltung des besetzten Weißrutheniens an verantwortungsvoller Stelle arbeitet. 1948 reist er mit seiner Familie illegal nach New York, tritt exilpolitisch auf, erst gegen Hitler, dann, weil das mehr bringt, gegen Stalin.“ Und jetzt fahren weißruthenische Partisanen in ihrem Kampf gegen eine andere, noch gräßlichere Diktatur fort.“ 1952 erfolgt die Einbürgerung, 1972 stirbt E. als geachtetes Mitglied der Demokratischen Partei. Wie gelingt es ihm, seine Kollaboration zu verschweigen, warum horcht niemand bei seiner Geschichte auf, fragt nach? Wie gelang es Ivan E. in die USA einzureisen und warum bleibt seine Akte unauffindbar? Interessant auch die Geschichte des Juden Karl L.. Er wird aus dem Minsker Ghetto nach Theresienstadt entlassen, dort übernimmt er in bester preußischer Tradition die Leitung der Ghetto Wache und den Kampf gegen Korruption unter den Häftlingen.

Die Hauptfiguren der Erzählungen, ob Opfer oder Täter, leben in sehr spezifischen Situationen, die ihr Leben, ihre Entscheidungsmöglichkeiten oder –unmöglichkeiten bedingen, Tom Lampert gelingt es, diese Menschen in ihrer Vielschichtigkeit genau und detailtreu zu erfassen. Er moralisiert nicht, aber er relativiert auch nicht, weder die Verbrechen des Nationalsozialismus, noch die Leiden der Opfer. Die Verantwortung der Einzelnen, ihre Handlungsspielräume sind Thema. „Moralisierende Wegweiser, die einen Menschen entweder als bösen Täter oder unschuldiges Opfer kennzeichnen – als wäre ein Opfer nationalsozialistischer Gewalt weniger Opfer, wenn man ihm moralische Verfehlungen oder menschliche Schwäche zugesteht -, stellen sicher, daß der Leser oder die Leserin das „richtige“ Urteil fällt, verhindern jedoch ein differenziertes Verständnis des Geschehenen.“ Ein außergewöhnliches Buch: sowohl Literatur als auch Dokumentation, sehr nah an den einzelnen Menschen, ihren Motiven und alles andere als langweilig. (rk)

Tom Lampert, »Ein einziges Leben – Geschichten aus der NS-Zeit«, dtv, 2003, 9,50 Euro

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