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»Typisch antisemitisches Muster« (Interview Teil 2)



Bieberstein verwendet ja viele Ausrufezeichen. Ist das normal in der wissenschaftlichen Literatur?

Das ist die Anlage des ganzen Buches. Das Ganze ist sehr emotional angelegt, das kommt so aus dem hohlen Bauch von Überzeugungen. Und immer, wenn er irgendwas findet, was zur Stützung seiner Weltanschauung dient, dann setzt er da ein dickes Ausrufezeichen.

Stichwort Weltanschauung: Wie ist diese Definition von Juden zu bewerten, wenn etwa Viktor Adler, der sich taufen ließ, oder Karl Marx, der die jüdische Religion laut Bieberstein als »widerlich« ablehnte, als Juden bezeichnet werden?

Das ist zweifellos ein typisch antisemitisch-rassistisches Bild, dass er Juden ausschließlich über Abstammung definiert, also über die so genannte Rasse, und ihn alles andere gar nicht interessiert.


Dazu wird aber immer wieder angeführt, dass sich die Juden selbst als auserwähltes Volk bezeichnen. Das heißt doch, dass auch im Judentum dieser völkische Begriff von Jude sein existiert.

Das ist eine Angelegenheit, über die die Juden selbst entscheiden können. Ich denke es ist ein großer Unterschied, ob Angehörige einer Religion selbst bestimte Ausgrenzungen, Abgrenzungen und Zugehörigkeitsmerkmale entwickeln, um zu definieren, wer gehört zu uns. Etwas ganz anderes ist es, wenn Außenstehende Menschen dieser Glaubensgemeinschaft der Juden zurechnen, um ihnen im Grunde etwas Negatives ankreiden zu können.


Was ist ihrer Meinung nach das Ziel dieser Konstruktion in diesem Buch?

Ich denke das ist auch wieder etwas, was fast nur zwischen den Zeilen steht. Im letzten Satz des Buches wird dieses Ziel kurz angesprochen. Es zielt auf die Entlastung der Deutschen, oder, wie er sagen würde, des deutschen Volkes.


Diesen Zusammenhang herzustellen, dass Juden am Antisemtitismus mit Schuld seien, ist ja zur Zeit recht en vogue, siehe Möllemann. Ist diese Konstruktion antisemitisch?

Ich denke das ist eine typisch antisemitische Kausalkette, die im Grunde sich selbst von der Möglichkeit als antisemitisch definiert zu werden dadurch befreit, dass sie den Antisemitismus einfach auf die Seite der Juden hinüberschiebt. Das ist eine infame Form von Entlastung, die nicht mehr irgendeine Form der Auseinandersetzung ist, sondern sich selbst reinwäscht, indem sie das alles auf die andere Seite hinüberschiebt.
Ich denke das ist auch das Problematische dieses Buches und an dem Punkt wird das Buch auch wissenschaftlich fragwürdig: Denn historische Kausalzusammenhänge, also B ergibt sich aus A, sind immer hoch konstruktiv und ideologisch. Und wenn er jetzt einen Kausalzusammenhang herstellt zwischen Dingen, die so weit auseinander liegen, wie der Beteiligung Menschen jüdischer Herkunft am Archipel Gulag und dem Holocaust, dann ist das eine Konstruktion, die ist abenteuerlich und dann muss natürlich fragen, was die Absicht dahinter ist. Und das macht er eben letzten Endes in seinem letzten Kapitel unüberhörbar deutlich: Es geht um Entlastung.