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Grauer Star Bielefeld? (25.06.2003)



Podiumsdiskussion
Diskutieren über den Grad der Gräue und bunte Alternativen: Paul Wolters, Burkhard Hintzsche, Hans Teschner, Vera Wiehe und Klaus Peter Dreesen (von links nach rechts)
























Von Manfred Horn

Wie grau wird Bielefeld? Diese Frage stellten sich ExpertInnen bei einer Podiumsdiskussion am vergangenen Samstag in der Ravensberger Spinnerei. Die VeranstalterInnen von »Forum 50plus«, einer »Informations- und Verkaufsausstellung« garnierten damit ihren reichhaltigen Vorrat an Messeständen um eine politische Haube. Wer sich an AusstellerInnen zu solchen Themen wie Hörgeräten, Grabmalen, Reisen und Wohnungsliften vorbeigeschlängelt hatte, konnte sich anhören, dass Bielefeld in den nächsten Jahrzehnten bevölkerungsmäßig schrumpfen und gleichzeitig ganz kräftig altern wird.

Die passenden Zahlen hatte Hans Teschner parat. Der Leiter des Amts für Stadtforschung, Statistik und Wahlen zeigte an Hand bunter Powerpoint-Grafiken die farblose Zukunft: Leben zur Zeit um 325.000 Menschen – nach der Einführung der Zweitwohnsteuer seit kurzem gar 328.000 – in Bielefeld, so werden es nach Berechnungen des Statistikamts schon im Jahr 2020 unter 300.000 sein. Die Gründe sind die gleichen wie überall in der Bundesrepublik: Kurz gesagt gibt erstens schon heute deutlich weniger Geburten als noch vor 30 Jahren und zweitens gibt es weniger Zuzüge. Weniger Zuzüge, weil die Eindeutschungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion abebbt und Deutschland an seiner restriktiven Einwanderungspolitik bis heute festhält. Nimmt die Entwicklung den erwarteten Gang, können bis 2020 40 von 100 Kindergärten in Bielefeld geschlossen werden. Bei insgesamt rückläufiger Bevölkerung wird gleichzeitig anteilig die Zahl der Alten zunehmen: bis 2020 wird es wahrscheinlich 40 Prozent mehr über 80-Jährige geben – außer die Politik betreibt bis dahin nicht eine Politik, die die gesundheitliche Versorgung der Älteren zurückfährt.

Burkhard Hintzsche, seines Zeichens Sozialdezernent der Stadt, will dennoch das Bild einer »grauen« Zukunft nicht gelten lassen. »Alt« heiße nicht gleichzeitig »grau«. Rein ökonomisch sieht er zunächst ein Problem: Weniger EinwohnerInnen bedeuten auch weniger Steuerzuweisung vom Bund, pro EinwohnerIn immerhin 700 Euro pro Jahr. Dies war in diesem Jahr bereits der Hintergrund, die Zweitwohnsteuer zu erheben. Darüber hinaus sieht Hintzsche die EinwohnerInnenzahl nicht zwangsläufig so stark sinken, man müsse in den Wettbewerb treten als besonders kinderfreundliche Stadt, um aus dem Umland weitere Menschen für ein Leben in Bielefeld zu gewinnen. Wie das gelingen soll, sagte er allerdings nicht. Zumal bestimmt 95 Prozent der anderen Städte auf die gleiche Idee kommen werden beziehungsweise schon gekommen sind.

Hintzsche weiß zugleich, dass Bielefeld sich auf mehr ältere MitbürgerInnen einstellen muss. Heute bereits würden Kindertagesstätten so gebaut, dass sie zukünftig auch anders genutzt werden könnten, zum Beispiel für Wohnzwecke, sagte er. Und: Die Stadt könne die Kosten bei Pflegebedürftigkeit im Alter nicht mehr tragen. Er schlägt deshalb vor, verstärkt von stationären Angeboten auf ambulante Versorgung umzustellen. Die will er neben examiniertem Personal auch mit »semiprofessionellen« und ehrenamtlichen Kräften bewerkstelligen. Das Finanz-Budget solle zukünftig stärker beim »Nachfrager« liegen, also bei den pflegebedürftigen Menschen selbst.