Webwecker Bielefeld: bethlehem01

Von Bethlehem nach Bielefeld (14.01.2004)



ZwangsarbeiterInnen-Ausstellung























Von Bethlehem nach Bielefeld waren es lange drei Kilometer. Der Weg, den die ZwangsarbeiterInnen vom Johannisberg während der NS-Zeit zur Arbeit zurücklegen mussten. Eine Ausstellung in der Ravensberger Spinnerei dokumiert fünf Geschichten von Zwangsarbeiterinnen, die bei Bielefelder Unternehmen zur Arbeit genötigt wurden.



Von Manfred Horn

Am Anfang steht eine bewusste Irritation: »Von Bethlehem nach Bielefeld«. Haben die Nationalsozialisten arabische Menschen zum Arbeitseinsatz in Bielefeld genötigt? Kurt Vogelsang, ehemaliger IG-Metall-Vorsitzender und ehemaliges Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion löste das Rätsel auf: ›Neu-Bethlehem‹ und ›Alt-Bethlehem‹ bezeichneten während des 2. Weltkrieges zwei Zwangsarbeiterlager in Bielefeld. In ›Neu-Bethlehem‹ waren circa 850 der 3.000 ZwangsarbeiterInnen untergebracht, die Dürkopp für sich arbeiten ließ.

Direkt daneben war das Holzbaracken-Lager ›Alt-Bethlehem‹, wo 30 Bielefelder Firmen gemeinsam ihre Zwangsarbeiter untergebracht hatten. Auch Kriegsgefangene wurden dort festgehalten, die für den Arbeitseinsatz bestimmt waren. Der Name Bethlehem geht wohl nicht auf die Bibel zurück, sondern auf einem Zimmermann namens Bethlehem. Der war auf dem Johannisberg jahrelang für den Aufbau der Schützenzelte zuständig. Ihm zu Ehren, so nimmt Vogelsang an, gab man den Zwangsarbeiterlagern auf dem Johannisberg die Bethlehem-Namen. Deutsche kamen Sonntags zum Berg, um sich die ZwangsarbeiterInnen anzuschauen, es war wie ein eintrittsfreier Menschenzoo. Doch bis heute gibt es keine Zeugenaussagen von BielefelderInnen, die die Dimension und das Geschehen auf dem Johannisberg näher beleuchten.

›Von Bethlehem nach Bielefeld‹ ging es drei Kilometer zu Fuß. Morgens den Berg runter, nach zwölf Stunden Arbeit den Berg wieder hinauf. Bis Ende 1944 ein Bombenangriff die Lager auf dem Johannisberg traf. Es gab Tote unter den ZwangsarbeiterInnen. Das Lager wurde aufgelöst, die unfreiwilligen Arbeitskräfte auf andere Lager in der Stadt verteilt. Alleine Dürkopp hatte 3.000 ZwangsarbeiterInnen und verschiedene Lager, teilweise auf dem Fabrikgelände. Für die ZwangsarbeiterInnen gab wenig zu Essen, die Suppen bestanden aus Abfällen, Würmern und vor allem Wasser. »Manchmal sollten in der Suppe Rüben sein, aber da war man sich auch nicht sicher«, erklärt Vogelsang.

Viele der Erkenntnisse, unter welch menschenunwürdigen Zuständen die fast 15.000 zivilen Zwangsarbeitskräfte vor allem aus osteuropäischen Ländern und etwa 1.800 Kriegsgefangenen in Bielefeld zwischen 1942 und 1945 arbeiten und leben mussten, stammen aus den Briefen, die der Verein »Gegen Vergessen - Für Demokratie« gesammelt hat. Der Verein nahm 2001 – damals noch unter seinem alten Namen als DGB-Arbeitskreis – Kontakt mit der Moskauer ›Memorial-Stiftung‹ auf, die vor allem in Russland und in der Ukraine aktiv ist (WebWecker berichtete).





1942: Gauleiter Meyer besichtigt die Zwangsarbeiterlager auf dem Johannisberg