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Alltägliche Grausamkeiten aus der Milchkanne (07.01.2004)



Ringelblum
Rechts im Bild: Emanuel Ringelblum, Gründer des Untergrundarchivs im Warschauer Ghetto






Oneg Schabbat, so heißt die Ausstellung über das Untergrundarchivs des Warschauer Ghettos, die noch bis zum 22. Januar in Löhne zu sehen ist















Von Manfred Horn

Zur Eröffnung der Ausstellung »Oneg Schabbat« sprach Ingrid Strobl. Die Wissenschaftlerin und Autorin mehrerer Bücher über den jüdischen Widerstand in der NS-Zeit betonte eben diesen der Menschen im Warschauer Ghetto, der schließlich 1943 in einem Aufstand mündete. Sie berichtete aber auch darüber, dass die meisten Menschen dort »normal auf eine anormale Situation« reagiert hätten. Will sagen: Selbst als der Mehrheit der Ghettobewohner deutlich wurde, dass für sie der Tod durch Verhungern oder durch Transport in Vernichtungslager vorgesehen war, waren die meisten nicht in der Lage, sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen. Jedenfalls keine Grund für Psychologisierung, die oft genug dafür her halten muss, die Juden als Opfervolk, als Lämmer, die sich willenlos zur Schlachtbank führen ließen, zu beschreiben. Die Bedingungen für Widerstand waren schwierig, es gab wenig Waffen, die polnische Untergrundarmee mied in der Regel eine Zusammenarbeit. Die meisten Menschen im Ghetto kannten nur noch ein Ziel: den täglichen Überlebenskampf zu bestehen, Nahrung zu bekommen.

Das ist dennoch Widerstand gab, ist demnach alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Ein Teil davon ist ein Untergrundarchiv. Die Idee dazu hatte Emanuel Ringelblum. Der Historiker versammelte eine konspirative Gruppe um sich herum. Jeden Samstag, daraus leitet sich auch der Name der Gruppe ›Oneg Sabbat‹, ›Freude das Samstags‹ ab, trafen sich Schriftsteller, Geistliche, Lehrer und Sozialarbeiter, um an einer Chronik des Grauens zu arbeiten. Politisch gehörten sie völlig unterschiedlichen Richtungen an, das Interesse an der Chronik einte sie. Gesammelt wurden zwischen 1940 und 1943 über 25.000 Blätter und 70 Fotos. Die Chronik des Grauens war dabei eine Sammlung des Alltags: Zusammengetragen wurden sowohl amtliche Dokumente wie auch persönliche Dokumente einzelner Ghettobewohner. Ausweise, aber auch Schulaufsätze und Tagebücher gehörten dazu. Auf diese Weise dokumentierte die Gruppe die wirtschaftliche und kulturelle Tätigkeit im Ghetto.

Oneg Schabbat sammelte die Unterlagen selbst, bekam auch vieles zugesteckt. In Anbetracht des Todes vertrauten viele Ghettobewohner der Gruppe ihre persönlichen Unterlagen an. Und manchmal schwärmten Gruppenmitglieder aus, um in der Ghettobevölkerung Fragen zu stellen. Das Forschungsprojekt trug den Namen »Zweieinhalb Jahre [Krieg]«. Ein wissenschaftliches Vorhaben unter schwierigsten, illegalen Bedingungen, das Oneg Schabbat nicht mehr Ende bringen konnte.

Oneg Schabbat sammelte auch Nachrichten über umliegende Ghettos in Polen. Als die Deportationen begannen, schlug die Gruppe Alarm und informierte unter anderen die polnische Exilregierung in London. Viele der Oneg Schabbat Mitglieder nahmen am Aufstand im Ghetto teil, viele überlebten ihn nicht. Oneg Schabbat Gründer Ringelblum wurde am 7. März 1944 von der deutschen Polizei in seinem Versteck entdeckt und getötet. Von Ringelblums engeren Mitarbeitern überlebten nur drei Personen.





Eröffneten die Ausstellung: Werner Hamel, Bürgermeister der Stadt Löhne, Ingrid Strobl und Karl-Heinz Bernsmeier, Vorsitzender von Arbeit und Leben Kreis Herford