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Wahl zwischen Essen und medizinischer Versorung (14.01.2004)



Die ›Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfe-Initiativen‹ (BAG), der auch der Bieldefelder Sozialberatungsverein ›Widerspruch‹ angehört, sieht durch die neue Praxisgebühr und Zuzahlungen eine »massive Ausgrenzung aus der Gesundheitsversorgung« kommen.



Seit dem 1. Januar müssen Sozialhilfeberechtigte wie alle anderen
Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen für ihre Gesundheit tief in die
Tasche greifen. Die zusätzlichen Kosten, die durch Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten und medizinischen Hilfsmittel entstehen, werden in Zukunft BezieherInnnen von Hilfe zum Lebensunterhalt oder von Grundsicherung im Alter sowie Menschen mit geringem Einkommen davor abschrecken, im Bedarfsfall medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen, befürchtet die BAG.

Betroffen sei eine Bevölkerungsgruppe, die bereits jetzt unter einem erheblich schlechteren Gesundheitszustand leide. Die Lebenserwartung dieser Bevölkerungsgruppe sei einer Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge etwa sieben Jahre kürzer ist als die ihrer wohlhabenderen
MitbürgerInnen.

Durch die Gesundheitsreform müssen nun auch SozialhilfeempfängerInnen bis zu einer Belastungsgrenze von 71,28 Euro jährlich mitbezahlen. Trotz dieser zusätzlichen Belastung wurden die Regelsätze in der Sozialhilfe nicht angehoben. Das führt praktisch zu einer Senkung des Sozialhilfeniveaus bei einem Erwachsenen um monatlich 5,95 Euro. Wenn am Monatsende das Geld knapp wird, werden diese Leistungsberechtigte zwischen einer Mahlzeit für die Familie oder dem Arztbesuch zu entscheiden haben., sieht die BAG.

Die seit über zehn Jahren schleichende Aushöhlung des
Bedarfsdeckungsprinzips, das als ein Mindeststandard unseres Systems der
sozialen Sicherung angesehen werden müsse, werde nun mit Nachdruck
fortgesetzt, beklagt die BAG. Ob das Vorgehen des Gesetzgebers jedoch mit dem
verfassungsrechtlich garantierten Sozialstaatsgebot zu vereinbaren ist, und
den gesetzlichen Anforderungen an die Bemessung des staatlich definieren
Existenzminimums genügt, will die BAG nun vor dem Gericht klären.

Nach Auffassung der BAG könne das Leistungsniveau nicht willkürlich durch die »Kollateralschäden des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung« herabgesetzt werden. Noch werde schließlich die Sicherung einer Existenz, die der Würde des Menschen entspricht, in § 1 des Sozialhilferechts postuliert.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen rät Sozialhilfe- und
Grundsicherungsberechtigten, sich gegen diese Ausgrenzung zur Wehr zu
setzen. Krankheitskosten könnten als einmalige Leistungen beim zuständigen
Sozialamt beantragt werden. Ein Musterantrag dafür könne bei der BAG-Geschäftsstelle iangefordert werden. Bei der Ablehnung dieses Antrags durch das Amt und einem erfolglosen Widerspruch führe der Weg dann in die nächste Instanz: Dann müssen die Gerichte über die Rechtmäßigkeit dieser
Sozialleistungskürzungen durch die Hintertür befinden.


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