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»Kriegserklärung« (Teil 3)



Kriegserklärung an die Bevölkerungsmehrheit


»Das ist eine Kriegserklärung«, sagt Roth zu den Reformen der Bundesregierung. Er propagiert entschlossenen Widerstand. Die Massenmedien würden ein Bild von Sozialschmarotzern zeichnen – »Florida-Rolf«, »Viagra-Kalle‹. Sozialhilfeempfänger werden so zu Kriminellen, die das Recht ausnutzen. Hier ist Gegenpropaganda nötig, sagt Roth. Auch gelte es, gegen die Lohnabsenkungen vorzugehen. »Viele wissen gar nicht, dass sie gegen den Kapitalismus sind«, meint Roth. Denn schon wer sich gegen Lohnabsenkungen wehre, würde sich damit den Plänen des Kapitals in den Weg stellen. Roth fordert zumindest gesetzliche Mindestlöhne, und zwar über dem Sozialhilfeniveau, und ein Mindesteinkommen für Erwerbslose ohne Bedürftigkeitsprüfung. Roth will auch die 30-Stunden Woche: Dann hätten die Unternehmen zwar weniger Profit, müssten aber mehr Leute einstellen.


Gewerkschaften mitschuldig

Eigene Forderungen stellt Roth in den Vordergrund und distanziert sich damit auch von den Gewerkschaften. Denen wirft er Versagen bei der Agenda 2010 vor. Sie hätten um Juni 2003 ihren Protest eingestellt und stattdessen auf Lobbyarbeit gesetzt. »Diese Taktik ist vollständig gescheitert«, resümiert Roth. Nahezu alle Bundestagsabgeordneten, die gleichzeitig Gewerkschaftsmitglieder sind, hätten für die Agenda 2010 gestimmt. »Wenn das so weiter geht, bedeutet dies die Zerstörung der Gewerkschaften, ohne dass sie verboten werden müssten«.

Für Roth machen sich die Gewerkschaften unter dem Eindruck der Sozialpartnerschaften zu viele falsche Gedanken. So sinniere der DGB-Vorsitzende Michael Sommer über Möglichkeiten, die Lohnnebenkosten zu senken. Er schlage vor, stattdessen die Mehrwertsteuer zu erhöhen. »Das müssen dann aber auch die Arbeitslosen bezahlen«. An die eigentlichen Kernfragen gehen die Gewerkschaften aus Sicht von Roth nicht genügend heran. Nämlich, dass Arbeitslosigkeit ein Produkt der enormen Produktivitätsentwicklung sei, die in den 1990ern in der Industrie bei circa 75 Prozent gelegen habe. Roth sieht die Lohnarbeit als Ganzes in der Krise. Arbeitslosigkeit sei auch dem Umstand geschuldet, dass das Kapital immer wieder in Krisen hineinlaufe. Einfach, weil es Überproduktion gebe.

»Technischer Fortschritt führt zu sinkendem Lebensstandard«, stellt Roth fest. Da stimme doch etwas nicht. »Wenn das Kapital immer weniger Arbeitskräfte braucht, dann sollten die Arbeitslosen wenigstens anständig leben können«, fordert er. Geld genug ist dafür allemal da. Es müsste nur mal jemand anfangen, den unvorstellbaren Reichtum der Gesellschaft abzuschöpfen.


Von Rainer Roth ist das Buch ›Nebensache Mensch. Arbeitslosigkeit in Deutschland‹ erschienen. DVS, 2003, ISBN 3-932246-39-X 15,00 Euro

Roth ist auch Mitverfasser der ›Frankfurter Erklärung‹, die im Januar 2004 verfasst wurde und die hier zum PDF-Download zur Vefügung steht

Hans Werner Sinn: Ist Deutschland noch zu retten? Econ-Verlag 2003, ISBN 3-430-18533-5







Wieviel Druck verträgt der Mensch?


Ein Kommentar von Manfred Horn


Der Druck auf Arbeitslose wird erhöht. Und auf diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, auch. Eine Tendenz, die sich in den vergangenen Jahren bereits empirisch belegen lässt: Die Arbeitenden melden sich immer weniger krank, die Lohnsteigerungen gleichen kaum noch die steigenden Lebenshaltungskosten aus. Ein Druck, der sich mit Hartz IV nochmals deutlich erhöhen wird. Bereits jetzt müssen Leiharbeiter zu Löhnen zwischen 3,50 Euro und 6 Euro ihre Ware Arbeitskraft verkaufen. Kapitalismus pur, dass ist das, was in den nächsten Jahren kommen wird. Wenn sich nicht mehr Widerstand regt.