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Ökonomische Interessen und Machtdemonstration (24.03.2004)






Jan Wehrheim ist Sozialwissenschaftler und Entwicklungspolitologe. Er promovierte über »Die überwachte Stadt«. Zurzeit arbeitet er an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Projekt »Kontrolle und öffentlicher Raum«. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus einem Buch: Birgit Menzel, Kerstin Ratzke: Grenzlose Konstruktivität, erschienen im Verlag Leske + Budrich. Wehrheim sieht Videoüberwachung kritisch. Hinter der Überwachung stünden vor allem ökonomische Interessen. Die Betonung der innereren Sicherheit und damit auch der Einsatz von Videoüberwachung diene zudem dazu, politische Handlungsfähigkeit zu suggerieren, die auf anderen Politikfelder nicht mehr vorhanden ist. Wehrheim benutzt in seiner Argumentation Foucault: Das urbane Panopticon konstruiert sich erst durch seine Thematisierung selbst, d.h. erst wenn die Existenz von Kameras allgemein bekannt wird, können diese massenhaft disziplinierend wirken. Umgekehrt können aber nur durch die Thematisierung der Folgen von Videoüberwachung diese unterbunden werden.

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Von Jan Wehrheim


Unter Beobachtung
Technische Konstruktion urbaner Ordnung! Soziologen und Soziologinnen wird nachgesagt, sie würden dazu neigen, sich hinter komplizierten Formulierungen zu verstecken. Oftmals verweisen solche Formulierungen oder einzelne Begriffe aber gerade auf eine spezifische Eigenschaft, eine spezifische Qualität sozialer Tatsachen und Beziehungen. Dies gilt auch für den gewählten Titel, hinter dem zunächst nur eine Auseinandersetzung mit einem zunehmend die Städte verändernden technischen Instrument steht, nämlich mit Videoüberwachung. Die Formulierung verweist jedoch bereits auf die Bedeutung, die dieses technische Instrument für das soziale Leben in Städten haben könnte: es steht in dem Verdacht, die Ordnung der urbanen Gesellschaft zu verändern.

Heutzutage kann für alle größeren Städte Großbritanniens festgestellt werden, dass es unmöglich geworden ist, sich in ihren zentralen Bereichen unbeobachtet zu bewegen. Die Zahl der Videokameras wird für Großbritannien auf über vier Millionen geschätzt und für Deutschland kursiert die Zahl 500.000. Der technische Fortschritt verläuft zügig und so können neuere Kameras auf eine Entfernung von 100 Metern einen Buchtitel lesen und beim Einsatz mehrerer Kameras kann eine Person automatisch verfolgt werden.

Doch wie und ob Videoüberwachung in öffentlichen Räumen wirkt, hängt nicht alleine von technischen Entwicklungen ab. Ausschlaggebend ist, wie Kameras eingesetzt und wie sie wahrgenommen werden. Daran entscheidet sich, ob Videoüberwachung zu einem Instrument der Gestaltung urbaner Ordnung sowie der Produktion und Durchsetzung von Macht wird, wie es derzeit diskutiert wird. Denn, Helge Peters wies darauf hin, »Adressaten von ›Macht‹ können nicht wie selbstverständlich wissen, worauf Machtausübung zielt. Man kann nicht unterstellen, dass sie Maßnahmen der Mächtigen wie diese definieren und entsprechend ›empfinden‹«. Insofern erscheint die tatsächliche Wirkung von Videoüberwachung keineswegs so eindeutig, wie sowohl von ihren Befürwortern und Befürworterinnen bei Polizei und Politik, als auch von ihren Gegnern und Gegnerinnen aus dem bürgerrechtlich orientierten Spektrum vermutet wird.

Dass jedoch die Gestaltung bzw. Veränderung urbaner Ordnung eine manifeste Funktion sein soll, dürfte hingegen unbestritten sein. Damit ist die Frage aufgeworfen, was in diesem Zusammenhang mit dem Begriff »urbane Ordnung« gemeint ist.