Webwecker Bielefeld: wehrheim02

Ökonomische Interessen und Machtdemonstration (Teil 2)



Die Ordnung der Stadt

Urbane Ordnung konstituiert sich, so die These, aus zwei sich wechselseitig beeinflussenden Dimensionen: Aus dem Komplex der Verhaltensregeln und normativen Erwartungen die die Nutzung öffentlichen Raums kennzeichnen einerseits und aus der sozialräumlichen Struktur der Stadt andererseits.

Regeln und Erwartungen sind Resultate verschiedener Prozesse. Erstens können sie als Produkt der Urbanisierung beschrieben werden. »Resignierte Toleranz« wie es Hans-Paul Bahrdt nannte und »höfliche Gleichgültigkeit«, um Erving Goffman zu bemühen sind nicht nur Umgangsformen wie sie nach wie vor in Großstädten vorherrschen. Sie ermöglichen auch erst die Koexistenz heterogener Personenkategorien und Individuen im öffentlichen Raum – was jedoch keineswegs bedeutet, es gäbe keine konkurrierenden Vorstellungen darüber, wie städtische Ordnung im Detail auszusehen hätte.

Zweitens sind Regel und Erwartungen Ergebnis formalisierter Ordnungen. Verkehrsordnungen oder das Strafgesetzbuch geben den Rahmen vor. Die sozialräumliche Struktur der Stadt wiederum ist durch Segregation gekennzeichnet, also durch die Verteilung unterschiedlicher sozialer Gruppen im Raum der Stadt. Neben ökonomischen Zwängen, kommunalen Belegungsvorgaben oder persönlichen Präferenzen können unterschiedliche Normativitäten in unterschiedlichen Nachbarschaften Segregation verstärken.

Die Ordnung der Stadt resultiert somit sowohl aus der Trennung von Personenkategorien als auch aus (lokal) differenzierten Normen. Das bedeutet auch, dass sich die urbane Ordnung aus pluralen Ordnungen zusammensetzt.

Verschiedene Faktoren verändern in jüngerer Zeit diese Ordnungen. Wohnräumliche Segregation verfestigt sich, Normen im Allgemeinen wandeln sich, Lebensstilisierungen kennzeichnen urbane Orte und neue Ordnungsproduzenten treten auf den Plan bzw. alte Ordnungsproduzenten greifen zu neuen Maßnahmen: Zum einen sind es Novellierungen von Innenstadtsatzungen oder Kommunalen Sicherheits- und Ordnungsgesetzen.

Diese Neuerungen lassen sich unter anderem dadurch charakterisieren, dass an unterschiedlichen Orten unterschiedliche kodifizierte Normen und Kontrolloptionen bestehen. So kann etwa der Konsum von Alkohol ausschließlich in Fußgängerzonen untersagt sein und die Polizei verfügt über die Option verdachtunabhängiger Personenkontrollen an speziellen, von ihr selbst als solche definierten »gefährlichen Orten«. Auch kann sie mit explizit raumorientierten Maßnahmen wie Platzverweisen und Aufenthaltsverboten agieren und schließlich legalisieren Gesetzesnovellen den polizeilichen Einsatz von Videoüberwachung.

Zum anderen verbreiten sich (substrafrechtliche) Partikularnormen, die erst aufgrund der juristischen Privatisierung städtischer Areale durchgesetzt werden können. Die Eigentümer und Eigentümerinnen – und nicht staatliche Akteure – solcher meist geographisch kleiner aber sozial bedeutungsvoller Areale definieren je nach ihren Interessen lokal begrenzte Normativitäten. Diese manifestieren sich in Form von Haus- oder Parkordnungen, die Betteln, Musikhören, Rennen und »unnötigen Aufenthalt« verbieten oder gar »angemessene Kleidung« vorschreiben. Die Implementierung einer Ordnung bedeutet in diesem Sinn, Verfügungsgewalt über Raum zu haben, und die Definitionsmacht zu haben, wann, von wem und wofür Raum genutzt werden darf. Videoüberwachung soll dabei als ein technisches Instrument zur Durchsetzung dieser Macht dienen.