Webwecker Bielefeld: wehrheim03

Ökonomische Interessen und Machtdemonstration (Teil 3)



Videoüberwachung könnte die urbane Ordnung nun in dreifacher Weise beeinflussen: Zunächst ergänzen die technischen Augen der Kameras die »natural eyes upon the streets« (Jacobs). Informelle soziale Kontrolle wird durch formelle soziale Kontrolle überhöht. Die Kontrolleure an den Bildschirmen werden nicht mehr durch ihr vis-à-vis vor der Kamera kontrolliert. Dies ist bereits eine grundlegende Änderung sozialer Kontrolle in Städten. Zudem könnte Videoüberwachung sowohl auf die Städter und Städterinnen disziplinierend wirken und so der Konservierung alter bzw. der Durchsetzung neuer Normen dienen, als auch ausgrenzend und damit segregierend wirken, also Ordnung durch eine andere Verteilung von Personenkategorien neu konstruieren.


Technologischer Determinismus?

Zwei konkurrierende Einschätzungen kennzeichnen derzeit die öffentliche Diskussion über Videoüberwachung. Einerseits wird davon ausgegangen, dass Videoüberwachung Kriminalität reduziere, sie wirke also präventiv, als »positiver Ordnungsfaktor«. Andererseits, so wird argumentiert, führe Videoüberwachung zum Verlust bürgerlicher Freiheitsrechte, da die Individuen bei Beobachtung auf deren Wahrnehmung automatisch verzichten würden. Videoüberwachung wirke als »negativer Ordnungsfaktor«.

In dieser Kontroverse wird jeweils davon ausgegangen, dass die Kameras von selbst eine Wirkung entfalten, die Individuen bereits von alleine auf die Kameras reagieren. Dabei herrscht ein »technologischer Determinismus« vor: die Wirkung von Videoüberwachung scheint in der Natur des technischen Geräts begründet. Basis dieser Annahme ist das von Foucault thematisierte Panopticon: Der Einsatz von Videoüberwachung würde – wie in dem nie verwirklichten Benthamschen Modell eines Gefängnisses – dazu führen, dass die Städter oder Städterin zwar nie wüssten, wann, ob und von wem sie beobachtet werden, aber permanent damit rechnen müssten. Dies führe automatisch zu Verhaltensanpassung, zu Konformität. Diese These erscheint allerdings doppelt problematisch. Erstens ist es höchst zweifelhaft, ob das Modell des Gefängnisses tatsächlich auf Großstädte übertragen werden kann. Diese können ja eher als das Gegenteil einer »totalen Institution« (Goffman) beschrieben werden, der panoptische Blick trifft also auf völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Zweitens wird durch die Annahme eines "technologischen Determinismus" der Einfluss sowohl der Kontrolleure, als auch der Kontrollierten auf Disziplinierung unterschätzt.

Zur Beurteilung des »Disziplinarfaktors« von Videoüberwachung bietet sich ein Blick auf Untersuchungen an, die die Wirkung von Videoüberwachung auf die Normverstöße thematisieren, die als kriminell definiert werden. Das britische Innenministerium legte bereits 2002 die Ergebnisse einer Auswertung von 22 verschiedenen, methodisch aufwendig durchgeführten Studien zu Videoüberwachung in den USA und Großbritannien vor: Demnach reduzieren sich Diebstähle von und aus Kraftfahrzeugen um gut 40 Prozent, Taschendiebstähle nahmen nur zwischen zwei und vier Prozent ab und auf die Häufigkeit von Gewaltdelikten gab es keinerlei Auswirkungen. Unterstellt man dabei, dass sich im Zeitraum vor und nach der Implementierung von Videoüberwachung weder der »objektive Kern« (Schetsche) der jeweiligen Ereignisse noch die Definition von Handlungen als kriminell resp. nicht-kriminell geändert haben, so entfaltet Videoüberwachung demnach außer auf Parkplätzen kaum eine Wirkung.

Aber nur ein Bruchteil der Kameras beobachtet Parkplätze und offiziell sollen sie ja primär vor Gewalt schützen. Im Durchschnitt liegt die Wirkung von kostspieligen Kameraanlagen sogar unter der Wirkung einer verbesserten Straßenbeleuchtung, wie Brandon Welsh und David Farrington ebenfalls für das britische Innenministerium herausfanden. Auch hinsichtlich von positiven oder negativen Verlagerungseffekten dokumentiert die Forschung kaum Auswirkungen von Videoüberwachung.