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»Deutschland denken heißt Auschwitz denken« (06.10.2004)



Rund 600 Menschen kamen am Samstag Abend in die Nicolaikirche, um einer Podiumsdiskussion zum Thema »Der Bombenkrieg ein Verbrechen?« zuzuhören. Die Veranstaltung der ›Neuen Westfälischen‹ nahm Bezug auf einen allierten Großangriff am 30. September 1944, also ziemlich genau vor 60 Jahren. Bei dem größten Luftangriff auf Bielefeld kamen 649 Menschen ums Leben, 1.300 erlitten schwerste Verletzungen. Rund 10.000 Menschen waren nach dem Angriff zumindest vorübergehend obdachlos.

Das Podium am Samstag Abend war mit Experten besetzt: Allen voran Jörg Friedrich, dem neben zahllosen TV-Dokumentationen die zweifelhafte Ehre zukommt, das Thema Bombenangriffe auf deutsche Städte wieder populär gemacht zu haben. 2002 erschien sein Buch »Der Brand« und löste sofort eine heftige Debatte aus: Ist Friedrichs Buch ein Beitrag zur Entschuldung der Deutschen? Neben Friedrich noch der Bielefelder Geschichtsprofessor Hans-Ulrich Wehler.

Die Antifa-Gruppe ›Puk‹ kam mit dem Ziel, die Veranstaltung zu stören. Sie entrollten zwei Transparente mit den Aufschriften »Deutsche Täter sind keine Opfer« und »No Tears for the Krauts«, begannen beim Beitrag Friedrichs zu pfeifen und verliessen die Kirche, als Pastor Arnim Piepenbrink-Rademacher von der Nicolai-Kirche von seinem Hausrecht Gebrauch machte.

Friedrich sieht das Leid. Auch ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene seien bei dem Luftangriff getötet worden. Der Kausalität der Ereignisse verweigert er sich, sieht die Dinge für sich, ohne zugleich Pazifist zu sein. Wehler hält dann auch dagegen: Die Bomben als zwangsläufige Folge des Nazi-Kriegs.

In einer Mitteilung erklärten die AntifaschistInnen anschließend, die in der Veranstaltung gerühmte »deutsche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist nichts weiter als eine Nutzbarmachung der deutschen Verbrechen für ein modernes ›aufgeklärtes‹ Deutschland, also für eine neue, ›saubere‹ kollektive Identität«. Diese neue deutsche Identität beweine die Opfer der Heimatfront, gleichzeitig werfe sie mit dem Argument »Auschwitz darf sich nicht wiederholen« selbst wieder Bomben.

Die Anmerkung, dass bei den Bombardierungen der deutschen Städte auch ZwangsarbeiterInnen und Kinder getötet wurden, dient aus Sicht von Puk im Kontext der Veranstaltung nicht der Verurteilung der Zwangsarbeit, sondern »lediglich der Schuldabwehr für ein kollektiv begangenes Menschheitsverbrechen«. Eine Reduktion der Täter auf eine kleine Elite von Nationalsozialisten entspreche nicht der historischen Realtiät: Hitler wurde von vielen gewählt und bejubelt, Juden und Kommunisten denunizert, arisierter jüdischer Besitz gerne übernommen, Eltern stellten ihre Kinder für den Führer und den Endsieg als letztes Aufgebot an die Flak, nennt Puk einige Beispiele.


Zur Kritik an Friedrich und dem Erinnerungsboom ein Artikel von Ute Frevert: www.bpb.de/publikationen/ZX3I76