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»Für immer Antifaschistin« (02.02.2005)





»Eine Woche länger und ich hätte nicht überlebt«. Bei ihrer Befreiung wog Celine van der Hoek noch ganze 25 Kilogramm



Am vergangenen Mittwoch platzte das Café Parlando aus allen Nähten. Celine van der Hoek war angekündigt. Sie ist eine der wenigen Zeitzeuginnen, die noch über Widerstand, Verfolgung und Deportation während des Nationalsozialismus berichten könnten. Die Jüdin aus Amsterdam überlebte Auschwitz und erzählte an diesem Abend ihre Geschichte.


Von Manfred Horn

Still sitzt sie da, minutenlang. Bevor sie das Wort ergreift. Sie hätte viel zu erzählen, doch das würde alles nicht in einen Abend passen: Celine van der Hoek ist inzwischen 84 Jahre alt. Sie will das Schöne nicht verschweigen, doch es ist vor allem das Schreckliche, dass sie immer wieder berichtet. Berichten will, damit aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse für die Gegenwart gezogen werden.

Van der Hoek bezeichnet sich selbst »als Antifaschistin für immer«. In Amsterdam behütet aufgewachsen, gerät sie als Irgendwie-auch-Jüdin, die Natinalsozialisten klassifizieren sie als »3/4 Jüdin« in den Holocaust, überlebt Auschwitz. Anfang der 1940 Jahre war Amsterdam eine Stadt mit 80.000 Einwohnern jüdischen Glaubens. Dann kam der Krieg nach Holland, genauer gesagt, kamen die deutschen Besatzungstruppen. Die Niederlande hatten sich bei Kriegsausbruch neutral gestellt, vergebens. Am 10. Mai fielen die deutschen Truppen ein, bereits am 14. Mai, nachdem die Luftwaffe kurzerhand und demonstrativ Rotterdam in Schutt und Asche gelegt hatte, kapitulierte die holländische Regierung.

Zu Beginn war die deutsche Besatzungsherrschaft milder als von vielen Niederländern befürchtet. Reichskommissar Seyß-Inquart, der Chef der deutschen Besatzungsverwaltung, betonte, er wolle das niederländischen Recht so weit wie möglich in Kraft lassen. Die niederländischen Kriegsgefangenen wurden Anfang Juni 1940 wieder freigelassen.

Auch die jüdische Bevölkerung wurde in den ersten Monaten in Ruhe gelassen. Die Mutter von Celine van der Hoek betreibt ein Elektro-Geschäft mit mehreren Filialen. Der Vater starb bereits 1923. Die damals 20-jährige konnte weiter als Kindergärtnerin arbeiten. Dies sollte sich Ende 1940 ändern: Die Besatzungsmacht erließ erste antijüdische Gesetze. Jüdische Staatsbedienstete wurden entlassen, Juden mussten alle möglichen Angaben über sich und ihr Eigentum machen und ihre Möglichkeiten in Beruf und Alltagsleben wurden immer weiter eingeschränkt. »Alles Maßnahmen, um uns von der Bevölkerung zu isolieren«, erinnert sich van der Hoek.

Antisemistismus habe es in Holland auch schon vor der deutschen Besatzung gegeben. Der äußerte sich aber nicht in Gewalt. Nun wurde es anders. Van der Hoeks Mutter sagte vor der Besatzung: »Hitler ist schlimm. Aber es gibt auch noch andere Deutsche«. Die waren auch in Holland, nach 1933 in das Nachbarland geflohen: Unter ihnen viele Juden, Sozialisten und Kommunisten. Auch die aus Deutschland Emigrierten waren nicht mehr sicher, hatten aber einen Vorteil: Sie sprachen deutsch und konnten so die Besatzer leichter täuschen.


Blutiger Februarstreik

Am 22. und 23. Februar gab es die erste groß angelegte Razzia, mehr als 400 jüdische Männer wurden ins KZ Mauthausen verschleppt. »Davon hat nur einer überlebt«, weiß van der Hoek. Die niederländischen Kommunisten riefen daraufhin einen Generalstreik aus, der als »Februarstreik« in die holländischen Geschichtsbücher einging. »Nicht nur die Kommunisten, viele haben mitgemacht«, blickt van der Hoek zurück. Die Besatzungstruppen schlagen den Streik, der nicht nur in Amsterdam, sondern in ganz Nordholland durchgeführt wurde, blutig nieder. Die Anführer des Streiks wurden erschossen.