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»Für immer Antifaschistin (Teil 3)



Diesmal nahmen die Deutschen nicht einen Personenzug, sondern Viehwaggons. Die Waggons waren völlig überfüllt, bis zu 80 Menschen drängten sich in einem Waggon. Hinzu kam, dass es nichts zu essen und zu trinken gab. Die Hälfte der Menschen, gerade Alte und Kleinkinder, überlebten die lange Fahrt nicht. In Auschwitz erwartete sie die SS, unterstützt von den Kapos, Häftlinge, die von den Nazis als Aufseher eingesetzt wurden. Mit Knüppeln und Hunden wurden die Menschen aus den Waggons getrieben. Dann kam die Selektion, die Josef Mengele höchstpersönlich vornahm. Der Arzt, den die Gefangenen »Todesengel« nannten, nutzte das Konzentrationslager als Labor für Menschenversuche. Wer ihm in die Hände viel, hatte nicht mehr lange zu leben.


Eine beschlagene Brille rettet ihr Leben

Van der Hoek ist Brillenträgerin. Ein großes Problem, den Brillenträger galten als nicht brauchbar und wurden häufig sofort in die Gaskammern selektiert. Mengele fragte van der Hoek, ob sie gut sehen könne. Die antwortete, obwohl sie die Frage nicht richtig verstand, instinktiv richtig: »Ja«. Ihr Glück. Sie trug ihre Brille in diesem Moment nicht, da sie beschlagen war. Ihre Haare wurden geschoren, eine Nummer in den Unterarm wurde ihr bereits beim Abtransport in Westerborg eintätowiert. Für die folgenden Monate war van der Hoek nur noch eine Nummer, ständig auf Abruf zum Tod. Die SS sagte ihnen von Beginn an, wo es langging: »Wenn ihr euch nicht benehmt, geht ihr ab in den Kamin«. Van der Hoek musste in Auschwitz nicht arbeiten, sie kam in die Baracken des Aussenlagers Birkenau. Acht bis zehn Frauen drängelten sich nachts auf einer Holzpritsche, auf die normal höchtens drei gepasst hätten. Pro Pritsche gab es nur zwei bis drei Decken. Nur die stärksten konnten sich zudecken. Morgens um 4 Uhr war Appell, stundenlang stehen, bei Regen, bei Schnee. Noch dreimal wurde sie selektiert, dreimal überlebte sie. »Ich habe einfach nur großes Glück gehabt«, sagt sie heute.

Sie dachte damals, hier komme ich nicht mehr raus. Ständig wurde sie Zeuge von gescheiterten Fluchtversuchungen, von Erschießungen, sah erhängte Häftlinge und wußte, dass sie ins Gas selektiert werden konnte. Dann, das Ende des Krieges rückte näher, wurde sie auf einmal wieder normal eingekleidet: Schuhe und Mantel statt Häftlingsuniform. Sie wurde im Dezember 1944 in die damals noch von der deutschen Armee besetzten Tschecheslowakei gebracht, musste in der Rüstungsindustrie bei Skoda arbeiten. Nach drei Monaten war Auschwitz für sie vorbei, sie hatte überlebt. Doch auch im Werk drohte der Tod. Der Vorarbeiter, ein glühender Nationalsozialist, hielt sie für eine Saboteurin und kündigte ihren Tod an. Zuvor aber sollte van der Hoek noch bis zum Letzten nützlich sein. Von der Werkbank wurde sie auf den Hof versetzt. Schwerstarbeit, Schubkarren mit Fabrikabfall beladen. Sie hatte wieder Glück: Nach nur drei Tagen auf dem Hof waren die deutschen Bewacher auf einmal weg. Das Werk war befreit.

»Eine Woche länger und ich hätte nicht überlebt«, weiß van der Hoek. Sie war damals 25 Jahre, ganze 24 Kilo wog sie noch. Nach der Befreiung brach sie zusammen, kam ins Krankenhaus, wurde schließlich mit einem Militärflugzeug nach Holland ausgeflogen. »Seitdem habe ich noch gut gelebt«, sagt sie. Auch wenn sie als Erbin das Elektrogeschäft nicht zurückbekam, die drei Filialen gehörte inzwischen einem Deutschen. Der hatte alle Unterlagen vernichtet, lebte in einer Prachtvilla inmitten der Möbel ihrer Mutter. Nichts davon hat van der Hoek wiederbekommen. Die ersten Jahre sei sie »extrem antideutsch« gewesen. Es dauerte lange, bis sich daran etwas änderte: Sie lernte eine Frau namens Trüs kennten, die zuvor als Trudel in Deutschland lebte. Sie half im Krieg, den sie in Holland erlebte, desertierten Wehrmachtssoldaten. Eine Bekanntschaft, die van der Hoek nachdenklich machte.