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Eine Gefahr für die Demokratie (06.07.2005)




Koehnen: Die falschen Reformen produzieren einen gefährlichen Reformstau



Falsche Reformen sind falsche Rezepte: Mit ihnen lässt sich weder der Umbau einer Gesellschaft noch die Herstellung eines Apfelkuchens bewältigen. Sozialleistungen abbauen, Steuern für Unternehmen und Besserverdienende senken, Lohnzurückhaltung, Privatisieren und Deregulieren: All dies führte in den vergangenen Jahren zu Massenarbeitslosigkeit, überbordender Staatsverschuldung und schwachem Wirtschaftswachstum. Schröder und Merkel lebten geistig noch in den 1960er Jahren, zu Zeiten der Blüte des »rheinischen Kapitalismus«, meint Volker Koehnen.

Dabei ist die – quasi naturwüchsige, weil in der Dynamik des Kapitalismus liegende – unaufhaltsame Jobvernichtung der eigentliche Kern der gegenwärtigen Krise. Die Lösung ist aus Sicht Koehnen der Abschied vom Modell der Vollbeschäftigung. Er sagt: Es käme jetzt auf eine Umgestaltung des Sozialstaates jenseits der Erwerbsarbeit an. Und Koehnen warnt davor, dass nach weiteren Jahren erfolgloser »Reformen«, durch welche Regierung auch immer, die Fundamente der Demokratie außer Kraft gesetzt werden könnten, weil die politische Elite dann meinen könnte, ihre Reformen mit aller Gewalt durchsetzen zu müssen.

Volker Koehnen ist seit 2001 Bereichsleiter Jugend und Jugendbildung beim Landesbezirk Hessen der Gewerkschaft ver.di. Koehnen ist Politikwissenschaftler, Erwachsenenbildner sowie systemischer Coach und Organisationsberater. Der Beitrag gibt seine persönliche Sicht zum Thema wieder.




Ein Beitrag von Volker Koehnen


I. Im heraufziehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl im Herbst suchen die Bundestagsparteien die Entscheidung, wer denn das »bessere Reformkonzept« zur Lösung der Probleme in Deutschland habe – Kopfpauschale versus Bürgerversicherung, Nachbesserung X gegen Nachbesserung Y bei den Hartz-Gesetzen. Man reibt sich verwundert die Augen über die »Tiefe« der Gegensätze; dabei unterscheiden sich die Konzepte von Regierung und Opposition nur so weit voneinander, wie etwa zwei Apfelkuchen sich im Grad der Zuckerbeimischung voneinander unterscheiden.


Ein unwirksames Rezept

Beide Lager aber bieten kein grundsätzlich anderes Backrezept an sich an. Sie setzen auf das inzwischen altbekannte und – empirisch wie theoretisch nicht minder – unwirksame Rezept: Sozialleistungen abbauen, Steuern für Unternehmen und Besserverdienende runter, Lohnzurückhaltung, Privatisieren und Deregulieren. Ergebnis dieser Form von Politik seit Jahren ist das glatte Gegenteil dessen, was versprochen wurde: Massenarbeitslosigkeit, überbordende Staatsverschuldung, schwaches Wirtschaftswachstum. So weit, so bekannt.

Und die Union? Sie wird nach ihrem wahrscheinlichen Wahlsieg dem Wahlvolk den ähnlichen Apfelkuchen kredenzen, wie vormals die SPD. Es ist vorauszusehen, dass am Ende der Regierung Merkel kein soziales oder ökonomisches Problem gelöst sein wird und Frau Merkel – aus den selben Gründen wie vormals Schröder – abgewählt wird. Die »Ironie« dabei ist, dass Schröder, Merkel und Co. gerade durch die massive Propagierung von »Reformen« das produzieren, was sie eigentlich beseitigen wollen: einen großen »Reformstau«. Ein Stau, der durch »Reformen« ausgelöst wurde, weil es eben die falschen Reformen sind.