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Eingeschränkt mobil (06.07.2005)





Das Bielefelder Sozialforum forderte vor der Ratssitzung Ermäßigung für ALG II Empfänger





Seit Anfang des Jahres erhalten Menschen mit geringem Einkommen keine Ermäßigung mehr bei mobiel. Der Regelsatz von Arbeitslosengeld II sieht für Verkehr jedoch monatlich nur 19,18 Euro vor, damit können die Betroffenen sieben Hin- und Rückfahrten mit öffentlichen Verkehrsbetrieben in Bielefeld bezahlen. Das Bielefelder Sozialforum forderte deshalb vor der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag, den Inhabern des Bielefeld Passes die Ermäßigung wieder zu gewähren. Der Rat lehnte entsprechend Anträge von PDS und Grünen jedoch ab.


Von Mario A. Sarcletti

Dass sie mobil sind, ist eine Forderung, die immer wieder an Arbeitnehmer aber vor allem auch Arbeitsuchende gestellt wird. Mobilität aber kostet Geld, eine Ressource, die bei Arbeitssuchenden naturgemäß meist knapp ist. Ein bereits vorhandenes Kraftfahrzeug dürfen sie nur haben, wenn es angemessen ist, die Anschaffung eines neuen ist praktisch unmöglich. Viele Bezieher von ALG II sind deshalb auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Und die sind nicht gerade billig. Für Empfänger von Sozialleistungen haben sie sich seit 1. Januar um 25 Prozent verteuert. Denn bis dahin erhielten sie bei mobiel, den Bielefelder Verkehrsbetrieben, eine Ermäßigung von 25 Prozent. Im Haushalt für das Jahr 2005 hat die Stadt Bielefeld die Mittel für diese Unterstützung gestrichen.

Damit hat sich aber nicht nur für Arbeitssuchende Mobilität verteuert. »Betroffen sind Geringverdiener, Rentner mit Grundsicherung, Asylbewerber, Bezieher von Sozialgeld und natürlich von Arbeitslosengeld II«, erklärt PDS-Ratsfrau Beate Niemeyer bei einer Kundgebung des Bielefelder Sozialforums am Donnerstag vor dem Rathaus, wessen Mobilität seit 1. Januar eingeschränkt ist. Diese Menschen können den Bielefeld Pass beantragen, der bis zum Jahreswechsel auch die Ermäßigung für den ÖPNV bedeutete.

Seither sind diese Gruppen nur noch beschränkt mobil. Das Sozialforum hat ausgerechnet, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II sieben Mal im Monat von A nach B und wieder zurück fahren können. 19,18 Euro monatlich für Verkehr sieht der Regelsatz für ALG II von 345 Euro vor. Nach Meinung des Sozialforums ist der sowieso zu niedrig. »Das müssten mindestens 420 Euro sein«, findet Ulrike Gieselmann von »Widerspruch«.

Dass der Regelsatz so niedrig ist, ist ihrer Meinung nach auch Schuld des Berechnungsmodus. »Die Regelsätze beruhen auf einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes über die Ausgaben ärmerer Menschen aus dem Jahr 1986«, beschreibt sie, wie die Macher von Hartz IV auf die 345 Euro kamen. Die Daten aus dieser Erhebung wurden zwar auf 2005 hochgerechnet. »Aber damals waren von Armut vor allem ältere Frauen mit kleiner Rente betroffen, die ganz andere Bedürfnisse haben«, beschreibt Gieselmann das Problem.


ALG II Verstoß gegen Verfassung?

Prominente Unterstützung für eine Erhöhung der Regelsätze erhielten Erwerbsloseninitiativen jüngst von Professor Wolfgang Däubler aus Bremen. In einem Gutachten vermutet er in der Berechnung des ALG II einen Verstoß gegen die Verfassung, da sie das Ausgrenzungsverbot missachtet. Danach dürfen Empfänger sozialer Leistungen nicht erheblich schlechter gestellt sein als das unterste Fünftel der Einkommensskala. Sind sie aber, durch die Reduktion bei bestimmten Ausgaben, findet Däubler. »Gerade die Restriktionen im Freizeitbereich betreffen ein Verhalten, das auch für Dritte unmittelbar wahrnehmbar ist; die Gefahr einer Ausgrenzung ist hier ungleich größer als beim Erwerb gebrauchter Geräte oder dem sparsameren Griff zur Zigarette«, urteilt Däubler. »Von daher ist dem Ausgrenzungsverbot hier nicht ausreichend Rechnung getragen; der Gesetz- und Verordnungsgeber scheint nicht einmal das Problem erkannt zu haben«, heißt es in dem Gutachten.