Webwecker Bielefeld: koehnendemokratie02

Eine Gefahr für die Demokratie (Teil 2)



II. Es soll hier nicht zu stark vereinfacht werden. Aber es ist schon auffällig, wie sich die Konzepte der großen politischen Lager ähneln. Und der empirische Beweis, dass sie nicht fruchten, ist längst erbracht. Was aber folgt daraus? Die politischen Parteien in Berlin leisten sich ein gigantisches Scheingefecht, ohne es zu merken: Ihre Problemdiagnose ist so falsch wie ihre Rezepte. Sie verschwenden viel Energie auf den Erhalt beziehungsweise die Reparatur eines Politikmodells, welches durch den nachhaltigen sozioökonomischen Wandel nicht mehr trägt. Schröder und Merkel leben geistig noch in den 1960er Jahren, zu Zeiten der Blüte des »rheinischen Kapitalismus«. Dieses Modell basierte bei einer weitgehend nationalen Volkswirtschaft auf standardisierter Massenproduktion mit einhergehender Vollbeschäftigung und darauf aufbauender Sozialsystematik. Funktionsbedingung dieses Modells war die Erwerbsarbeitsgesellschaft, also die massenhafte Normalerwerbs-Biografie.


Ein epochaler Umbruch

Nun bricht sich aber seit damals ein epochaler ökonomischer und sozialer Umbruch Bahn: zunehmende internationale Verflechtung der Märkte und technologisch-digitale Revolution hat die Form des Wirtschaftens von Grund auf verändert: die lebendige menschliche Arbeitskraft schwindet in nennenswertem Ausmaß. Pro Tag gehen circa 1.500 sozialversicherungspflichtige Jobs verloren, weil Unternehmen zur Erwirtschaftung hoher Profite eben immer weniger auf menschliche Arbeitskraft angewiesen sind. Diese – quasi naturwüchsige, weil in der Dynamik des Kapitalismus liegende – unaufhaltsame Jobvernichtung ist der eigentliche Kern der gegenwärtigen Krise, und nicht etwa »schlechte Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen« oder »zu hohe Löhne«. Folge ist der Kollaps der auf Vollbeschäftigung angelegten Sozialkassen durch erodierende Beitragseinnahmen und durch expandierende Ausgaben durch Massenarbeitslosigkeit. Die eigentliche Lösung wäre der Abschied vom Modell der Vollbeschäftigung und der daraus resultierenden Sozialsysteme. Es käme jetzt auf eine Umgestaltung des Sozialstaates jenseits der Erwerbsarbeit an.


Ein aussichtsloses Unterfangen

Dies wäre das eigentliche Feld eines kreativen politischen Ideenwettbewerbs. Stattdessen wollen beide politische Lager mit einer beispiellosen Flut von Zwangsmechanismen, Leistungskürzungen, Druck und Verunglimpfung etwas operieren, was längst tot ist. Ein aussichtsloses Unterfangen.

III. Die angebotenen Konzepte der Parteien sind aber nicht nur ökonomisch unwirksam, weil man etwa mit einer Schaufel kein Haus anstreichen kann. Sie sind obendrein für den Bestand unserer Demokratie hoch gefährlich – und dies nicht nur, weil sie den Kern der Demokratie außer Kraft setzen: die Auswahl unter verschiedenen Alternativen. Beide politische Lager vermitteln mit einer fatalen Selbstverständlichkeit den Eindruck, sie seien im Besitz wirksamer Instrumente, die Krise zu lösen. Sie schüren damit völlig unbegründete Hoffnungen im Volk, es steht nämlich zu befürchten, dass sie dazu nicht in der Lage sein werden.

Nicht auszudenken, in welcher Stimmungslage sich Deutschland nach vier oder acht Jahren Unions-Regierungszeit mit am Ende zumindest gleichbleibender Massenarbeitslosigkeit befinden würde. Man kann sich die Kommentare schon vorstellen: »Seht her, die SPD hat es nicht geschafft, die Krise des Landes aufzulösen, und auch die CDU hat dies nicht vermocht!« Wer, welche Partei, stünde bereit, in den die Menschen dann noch Vertrauen setzen könnten? Die große Sorge ist, dass die extreme Rechte davon profitieren könnte.