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Ein Friedhof voller Geschichte (21.09.2005)





Ein alter Grabstein auf dem jüdischen Friedhof: In der Mitte steht: »Hier ruht«



Von Manfred Horn

Das Tor stand offen – eine Ausnahme. Normalerweise ist der jüdische Friedhof in Bielefeld verschlossen. Wer den Johannesfriedhof oberhalb des Ostwestfalen-Damms geradeaus an der Kapelle durchschreitet, landet unweigerlich an dem unauffälligen Aluminium-Tor, hinter dem sich der Friedhof verbirgt. Vor einigen Jahren hat sich die Bielefelder jüdische Kultusgemeinde, die Eigentümerin des Friedhofs ist, entschlossen, abzuschließen. Neonazi-Schmierereien drohen. Aber auch kann eine Gefährdung der Besucher nicht ausgeschlossen werden. Denn die Mittel für die Instandhaltung sind knapp, lediglich von der Bezirksregierung in Detmold gibt es einen Zuschuss.

An diesem Sonntagmorgen strahlt die Sonne, und rund 30 Neugierige haben sich vor der Kapelle eingefunden, um zusammen mit dem Stadthistoriker Joachim Wibbing den Friedhof zu besuchen. Angeboten wurde die Führung im Begleitprogramm der Anne-Frank-Ausstellung im Historischen Museum, die noch bis zum 2. Oktober läuft.

Wer einen jüdischen Friedhof betritt, atmet vom ersten Moment an deutsche Geschichte. Denn die besondere Stellung, in weiten Teilen Diskriminierung und Verfolgung – und das nicht nur während des Nationalsozialismus – lässt einen solchen Friedhof zu einem besonderen Ort werden. Besonders ist er aber auch als letzte Ruhestätte, weil der jüdische Glauben einen anderen Umgang mit den Toten vorsieht. Die Gräber sind für alle Ewigkeit gedacht, niemand wird nach vier Jahrzehnten platt gemacht, auch das Öffnen von Gräbern und das Umbetten von Toten ist untersagt. Wobei Ewigkeit eine relative Länge ist: Denn wenn der Messias wiederkommt, dann werden die Seelen in die Körper zurückkehren, sagt der jüdische Glaube.

Bei einem Begräbnis soll die Gemeinde großen Anteil nehmen, das Begräbnis an sich dann aber schlicht abgehalten werden. Der Tote wird gewaschen, in ein schlichtes Leinenhemd eingekleidet. Bei der Beerdigung, die nicht an einem Feiertag oder am Sabbat stattfinden darf, wird das ›Kaddisch‹, das Totengebet gesprochen. Es endet mit dem Satz: »Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, stifte Frieden unter uns und ganz Israel, sprechet: Amen«.


Steine auf den Stein

Für christliche Gläubige scheint es ungewöhnlich, das auch Eheleute Einzelgräber haben, zählt doch vor allem die Funktion und die Familienzugehörigkeit eines Toten. Die Grabsteine sollen ebenfalls schlicht sein. Statt Blumen legen Angehörige kleine Steine, die sich in der Umgebung finden, oben auf den Grabstein. Auf dem jüdischen Friedhof in Bielefeld nun steht auch der älteste erhaltene jüdische Grabstein. Er datiert aus dem Jahr 1663 christlicher Zeitrechnung: »Hier ruht Frau Gitla, Tochter des Mose Meir, seligen Angedenkens, Tag 4 Neumondtag des Adar 464, nach der abgekürzten Zählung«, steht in Hebräisch dem Stein. Viele der älteren Steine zieren auch noch kelchartige Symbole – sie deuten die Waschung des Toten an.

Wie die alten Steine auf diesen Friedhof gekommen sind, gilt als gesichert. Der evangelische Handwerker Gustav Vincke fühlte sich auch während der NS-Zeit verantwortlich für den älteren jüdischen Friedhof, er soll die insgesamt elf Steine auf den neuen verbracht haben, berichtet der Historiker Wibbing. Dies ist durchaus ungewöhnlich: In vielen Orten wurden während des Nationalsozialismus jüdische Friedhöfe zerstört – und die Grabsteine zermahlen und als Schotter für den Straßenbau genutzt. Für Bielefeld ist bekannt, dass es zwar seit Mitte der 1920er Jahre immer wieder Schändungen auf den jüdischen Friedhöfen gab – meist Beschmierungen – die Nationalsozialisten zerstörten sie aber nicht, als sie später herrschten. Größere Beschädigungen gab es erst in Folge der Luftangriffe auf Bielefeld.





Der älteste noch erhaltene Stein aus dem Jahr 1663