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Eine Geschichte voller Vertuschungen (Teil 2)



Auch ohne von Weizäcker und Heisenberg sei an allen deutschen Hochschulen, im Heereswaffenamt, bei der Marine und bei der Luftwaffe bis Mai 1945 an der Atombombe gebastelt worden, sagt Pflugbeil. Darüber sei heute allerdings wenig bekannt. »Die Schülergeneration hat ausgemacht, nicht über diese Zeit zu reden, um ihre Lehrer nicht zu belasten«, weiß Pflugbeil. Es habe sogar einen Austausch mit dem Ehepaar Joliot-Curie in Paris gegeben. Die hatten in ihrem Institut ein Zyklotron, ein Teilchenbeschleuniger, mit dem kräftig an der Kernspaltung experimentiert wurde. Darüber wurde nach dem Krieg nicht mehr gesprochen – in Frankreich wollte niemand mehr mit den Nazis kollaboriert haben.


Erste Atombombe in Ohrdruf

Die erste Anwendung einer Atombombe habe es auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen gegeben, sagt Pflugbeil – zum gleichen Ergebnis kommt Karlsch in seinem Buch. Eine Schlüsselfigur machen die beiden in dort in dem Experimentalphysiker Kurt Diebner vom Heereswaffenamt aus. Dem Test in Ohrdruf fielen etliche Zwangsarbeiter zum Opfer – menschliche Versuchskaninchen. Auch auf Rügen, wo Pflugbeil 1949 geboren wurde, habe es möglicherweise Tests gegeben, hier zitiert Pflugbeil einen Bericht des russischen Militärgeheimdienstes, der von einer Vernichtungsspur im Umkreis von 500 Metern schreibt. Versehentlich seien sogar SS-Leute umgekommen, die zu nah dran waren. Nach Veröffentlichung seines Buches habe Karlsch von damaligen sowjetischen Atomphysikern bekommen: Die deutschen Leistungen würden allgemein unterbelichtet, da sei sogar noch mehr passiert. Die historischen Rekonstruktionen zeigen: Es gab neben den berühmten Atomforschern, die sich dem Regime angeblich so gut wie möglich entzogen, auch welche, die aus der zweiten Reihe heraus effektiv an der Atombombe bastelten. Die Geschichtsschreibung hatte bisher immer behauptet, nur die erste Garde hätte die Atombombe für Hitler bauen können – und die habe nicht gewollt.

Pflugbeil sieht eine Kontinuität der Versuche aus dem Nazi-Reich in die beiden deutschen Staaten hinein. Im Uranabbaugebiet Wismut in der ehemaligen DDR könne man von 30.000 Toten ausgehen, die Zukunft mit eingerechnet. Denn Uranstaub wirkt lange – viele sind erst jetzt an Krebs erkrankt oder werden noch in Zukunft daran sterben. Allein im zweiten Halbjahr 1949 hat es nach einer Statistik der Berufsgenossenschaft im Uran-Bergbau Wismut 1.281 verunglückte Bergarbeiter gegeben, 16.560 Gesundheitsschäden schwerster Art und 8.465 wurden als »geschlechtskrank« gemeldet. Wismut, das den Rohstoff für die sowjetischen Atombomben lieferte, habe damals noch einen Stacheldraht mit scharfen Schäferhunden gehabt.

In den Folgejahren bis zum Ende der DDR versuchte die Staatsführung eine Goldgräberstimmung zu erzeugen, sagt Pflugbeil. Es gab höhere Gehälter, Schnaps und mehr Urlaub. 1990 dann wurde der Abbau beendet. Für die zahlreichen Geschädigten gehe es aber weiter, viele bekämen ihre Anerkennung als Strahlenopfer nicht. Keine Anerkennung – keine Entschädigung: Viele der Gutachter der ehemaligen DDR seien dann nach 1990 zum Bundesamt für den Strahlenschutz gewechselt und verneinen bis heute einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Uranabbau. »Der Umgang mit diesen Leuten ist ein Skandal«, sagt Pflugbeil.


Wismut weiter nach DDR-Recht

Bemerkenswert auch, dass im Umweltrahmenvertrag, der zur Auflösung der DDR mit der BRD-Regierung getroffen wurde, für die Region Wismut die Strahlenschutzbestimmungen der DDR weiter galten. Sie hatten deutlich geringere Grenzwerte als die Bestimmungen der Bundesrepublik. Als daraufhin 1990 Anwohner klagten, entschied das Bundesverwaltungsgericht – nach zehn Jahren im Jahr 2000 – die Rechtmäßigkeit. Die Klage wurde erst gar nicht angenommen. Es komme ja bald eine neue Strahlenschutzverordnung. Die kam, doch im neuen von Rot-Grün gebastelten Recht gibt es für die Region Wismut wieder eine Sonderregelung, die an das alte DDR-Strahlenschutzrecht anknüpft.