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Zufallsgenerator bei Asylanhörung (Teil 2)



»Danach war sie am Boden zerstört«, berichtet Angelika Claußen. Die Therapie sei erfolglos gewesen. »Sie bekam ja immer wieder Post, in der ihr gesagt wurde, dass sie nicht glaubwürdig sei«, nennt Claußen einen Grund dafür. Nach einem Gutachten und einem Gerichtsverfahren wurde die Kurdin schließlich doch anerkannt. »Sie hat eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung«, beschrieb Claußen den Gesundheitszustand der Frau. Sie sei sehr misstrauisch, habe anfangs in jedem dunkelhaarigen Mann einen Folterer gesehen.

Joachim Köhn räumte ein, dass der Mitarbeiter des Bundesamtes sich nicht so verhalten habe, wie dies eine Dienstanweisung vorschreibe. »Bei einer Folter- oder Vergewaltigungsandeutung muss die Anhörung abgebrochen und eine Spezialistin und eine Dolmetscherin geholt werden«, erläuterte er. Es gebe für diese Fälle speziell geschulte sonderbeauftragte Einzelentscheider. In seiner vorherigen Dienststelle in Düsseldorf sei die Entscheidung über den Asylantrag in solchen Fällen zurückgestellt und die Flüchtlinge an ein psychosoziales Zentrum zur Behandlung verwiesen worden. Köhn erklärte aber auch, dass auch der Einsatz der sonderbeauftragten Einzelentscheider nicht garantiere, dass diese die Tragweite des Falles erkennen.


Gedächtnisstörungen bei Folteropfern

Angelika Claußen erläuterte, warum es für Folteropfer schwierig sei, ihre Erlebnisse zu schildern. Sie hätten oft Gedächtnisstörungen. »Das Gehirn ist gar nicht in der Lage, die Geschehnisse als Ganzes aufzunehmen, verschiedene Sinneseindrücke werden an unterschiedlichen Stellen im Gehirn gespeichert«, führte die Psychiaterin aus. Diese Sinneseindrücke kämen später immer wieder. »Wenn jetzt zum Beispiel der Folterer stark nach Schweiß gerochen hat, wird später die Folterszene bei diesem Geruch wiederkommen«, sagte Claußen.

Für Bernd Mesovic ist der Fall der jungen Kurdin kein Einzelfall. »Ob die Gesprächsführung stimmt, ist weniger wichtig, als dass das Verfahren systematisch sauber ist und die Anerkennungsquote eingehalten wird«, warf er dem Bundesamt vor. Ein Problem sei auch die Qualifikation der Mitarbeiter. »Zur Hochzeit der Asylbewerberzahlen wurde in großem Stil Personal eingekauft«, so Mesovic. Es fehle die Qualitätskontrolle bei den Anhörungen. »Wenn ich dann höre: Die beste Qualitätskontrolle sind die Gerichte, dann werde ich bitter«, sagte er.

Eine aktuelle Studie zeigt, dass auch geschulte Mitarbeiter des Bundesamtes tatsächlich mit ihrer Einschätzung oft daneben liegen. Nach der Studie der Universität Konstanz leiden 40 Prozent der Asylbewerber an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die Anerkennungsquote von Asylbewerbern beträgt hingegen nur 3,3 Prozent. Die Kenntnisse in psychologischer Gesprächsführung seien nicht ausreichend, zudem verfügten sie über ein mangelndes klinisches Verständnis. »Da hätte man auch einen Zufallsgenerator hinsetzen können«, kommentiert Bernd Mesovic das Ergebnis der Studie.

Angelika Claußen beschrieb die Symptome einer PTBS: Zu ihnen gehören Übererregung, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen und vor allem das unwillkürliche Wiedererleben des Traumas. Traumatisierung, »ein Begriff der leider inflationär verwendet wird« so Claußen, meine in diesem Fall die Bedrohung von Leib und Leben von sich selbst oder nahen Angehörigen. »Es ist besonders schlimm, wenn sie von Menschen ausgeht«, sagte Claußen. So liege die Chance eine PTBS zu erleiden durch Folter bei fünfzig, durch einen Verkehrsunfall bei fünf Prozent. Die Chance werde gemindert, wenn dem Opfer Ruhe und Sicherheit gegeben werde. Das Gegenteil passiert nach der Flucht in die Bundesrepublik, die Anhörung durch Beamte und die drohende Abschiebung verschlimmern den Gesundheitszustand. »Das Schlimmste für die Opfer ist Drohung mit erneuter Festnahme und Abschiebung, die zu einer Retraumatisierung führen kann«, erklärte Angelika Claußen.