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Reflexive Schleifen über den Faschismus (Teil 2)



»Er spricht über seine Vergangenheit nur in deutsch, auch wenn er in polnisch gefragt wird«, stellte Ute Sauer fest. Die Pädagogin hat bei dem Projekt mitgemacht und war darüber anfangs irritiert. Heute sieht sie klarer: Er schlüpfe in die Rolle eines KZ-Häftlings und Zeitzeugen, wenn er über die NS-Vergangenheit spricht. Tadeusz Sobolewicz hat viele Wege gefunden, mit der schrecklichen Vergangenheit einigermaßen fertig zu werden. Dazu zählt auch sein Beruf als Schauspieler. »Die Kunst hat ihm geholfen, eine Ausdrucksform zu finden«, findet Luise Orynczak, »in den Rollen kann er sich ständig neu erfinden«. Dazu zählte für ihn auch, die andere Seite zu spielen: Die eines Nazis.

»Kunst als Therapie« ist ein Ergebnis des Austausches. Schon im Konzentrationslager gab es Häftlinge, die ganz offiziell für die SS Portraits anfertigten oder Musik für Gesellschaften der höheren Nazis spielten. Auch das Malen von Verkehrs- und Verbotsschildern im Lager war schon eine vergleichsweise kreative Tätigkeit. Sobolewicz ging diesen Weg nach 1945. Er spielte und schrieb später auch zwei Bücher und zahlreiche Fachartikel zum Thema Konzentrationslager. Notwendig wurde diese kreative Auseinandersetzung, weil auf der anderen Seite die Vergangenheit mächtig drückte. Die dunklen Schatten ist Sobolewicz bis heute nicht los geworden, er konnte nur einen besseren Umgang mit ihnen finden und sie auf die nötige Distanz bringen, um lebensfähig zu bleiben. »KZ-Syndrom« heißt das im Fachjargon. Quasi eine Eingrenzung eines posttraumatischen Belastungssyndroms, unter dem auch heute noch vor allem Flüchtlinge leiden, denen in ihren Herkunftsländern Gewalt angetan wurde.

Das Syndrom zeigt sich auf vielfältige Weise: sei es in einem Sammelzwang, in fehlendem Zeitmanagement oder eben in mangelnder Sauberkeit. Als ihm die Ärzte in den 1960ern das KZ-Syndrom bestätigten, war es für Sobolewicz auch eine Erleichterung: Sein Leiden hatte eine Klassifikation, einen Namen bekommen. Der Schein half ihm auch, staatliche Unterstützung als ehemaliger KZ-Häftling zu bekommen.


Instrumentalisierung durch die Kommunistische Partei

»Die Auseinandersetzung Face-to-Face hat mir gut gefallen«, schreibt Filip Mackowiak auf einer der Tafeln, die in der Ausstellung zu sehen sind. Denn die dreht sich nicht nur um Sobolewicz, sondern auch um die Teilnehmer und deren Annäherungen an das Thema und den Menschen, der als Opfer die NS-Zeit repräsentiert. Vier der Teilnehmer auf deutscher Seite des Austausches haben polnische Wurzeln. Luise Orynczak gehört dazu. Mit drei Jahren kam sie nach Deutschland. Für sie war die Begegnung mit Sobolewicz auch ein Stück Begegnung mit der eigenen Geschichte. Sie kann zumindest noch erahnen, was die polnischen Projektteilnehmer mit der »Instrumentalisierung der Erinnerung« meinen, weil sie noch einen Bezug zu der Geschichte Polens nach dem Krieg hat. Für die kommunistische Partei war die Erinnerung an Auschwitz durchaus konstitutiv. Gleichzeitig schuf sie einen Widerstandsmythos, der erst heute zugunsten eines differenzierten Bildes aufbricht.

Orynczak und Sauer betonen dabei den Wert der ausführlichen Begegnung. »Das Verhältnis hat sich im Laufe der Zeit geändert«, heben sie beide hervor. Sobolewicz öffnete sich über das Maß eines zweistündigen Zeitzeugenvortrags hinaus – und zeigte auch seine persönlichen Schwierigkeiten. Diese Intimität war eine wichtige Voraussetzung zu begreifen.