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Reden zwischen Tod und Trauer (15.03.2006)





Reden über den Alltag in einer Ausnahmesituation: Nicole Nöding (l.) und Manuela Heine beim Abendessen. Foto: Werner Krüper


»Ups. Ich glaub eine Tablette ist im Salat verschwunden«. Nicole Nöding schaut auf ihren Teller. Manuela Heine nimmt eine Gabel, sucht im Salat und fischt die letzte der fünf Tabletten heraus, die Nicole Nöding jeden Abend mit ihrem Essen einnimmt. Die beiden jungen Frauen kichern. Nicole Nöding schluckt die Tablette, die Manuela Heine ihr reicht, herunter, und die beiden führen ihr allwöchentliches Gespräch fort. Wie immer reden sie über Alltagsdinge, Freunde, Probleme, Krankheit, Tod und Trauer.

Manuela Heine ist ehrenamtliche Mitarbeiterin der Hospizarbeit im Evangelischen Johanneswerk. Die 34-Jährige begleitet schwer kranke und sterbende Menschen und unterstützt Angehörige in dieser schwierigen Zeit und bei dem Umgang mit Trauer. Ihr Engagement ist etwas Besonderes, denn die meisten Menschen, die hier ehrenamtlich arbeiten, sind wesentlich älter. Gerade deshalb verbindet sie mit der 29-jährigen Nicole Nöding eine ganz besondere Geschichte.


Fortbildung für Ehrenamtliche

»Vor vier Jahren habe ich eine Möglichkeit gesucht, mich in der Hospizarbeit zu engagieren«, erinnert sich Manuela Heine, die in Bad Salzuflen wohnt. Über die gelben Seiten ist sie dann auf das Johanneswerk gestoßen und hat dort einen Info-Abend besucht. »Das hat mir so gut gefallen, dass ich danach einen Fortbildungskurs für Ehrenamtliche gemacht habe«, erzählt die gelernte Heilpraktikerin für Psychotherapie. Danach hat sie knapp zwei Jahre in der Johanneswerk-Alteneinrichtung Bethesda in Bad Salzuflen ältere Menschen besucht, hat ihnen vorgelesen oder ist mit ihnen spazieren gegangen. Eine ältere Dame hat sie bis zu deren Tod begleitet.

Dann kam ein Anruf von den Koordinatoren der Hospizarbeit. Sie suchten eine jüngere ehrenamtliche Begleitung, für einen 28-jährigen Mann, erzählt Manuela Heine. Das war Mirko Nöding, Nicoles Bruder. Eineinhalb Jahre hat sie ihn durch eine schlimme Zeit begleitet, dann ist er mit 30 Jahren gestorben. »Danach braucht man als Ehrenamtliche erst einmal eine Zeit lang Abstand«.

Als sie später zu einem Nachgespräch im Büro der Koordinatoren war, saß der Zufall mit am Tisch. Eine Bekannte von Nicole Nöding rief genau in diesem Moment an und bat um Trauerbegleitung für die junge Frau, die der Tod ihres Bruders und zudem der Tod eines guten Freundes schwer getroffen hatte. Zudem brauchte sie Unterstützung bei den vielen Problemen, die sie täglich bewältigen muss, da sie an der gleichen Krankheit wie ihr Bruder leidet. Das war vor einem Jahr. Seitdem besucht Manuela Heine Nicole Nöding einmal die Woche abends.

»Als ich sechs Jahre alt war, traten die ersten Symptome wie Störungen des Gleichgewichts und der Motorik auf«, erinnert Nicole Nöding. Seit dem 15. Lebensjahr sitzt sie im Rollstuhl. »Erst als ich 27 war, haben die Ärzte festgestellt, dass mein Bruder und ich an der seltenen Erbkrankheit Friedreich-Ataxie litten«, erzählt die lebensbejahende Frau, der das Sprechen schwer fällt.


Ich bewundere die beiden

»Von Nicole und ihrem Bruder habe ich schon so viel gelernt«, sagt Manuela Heine. »Ich bewundere, wie die beiden ihr Leben meistern, bis zur letzten Minute war Mirko ein humorvoller Mensch«. Trotz ihrer Behinderung, hat Nicole Nöding vor zweieinhalb Jahren beschlossen, eigenständig zu leben. Sie ist in eine Einrichtung für Betreutes Wohnen gezogen, in der sie eine eigene kleine Wohnung hat. Vier halbe Tage in der Woche arbeitet die gelernte Bürokauffrau in einer sozialen Einrichtung, gibt dort Daten in den PC ein und bearbeitet Korrespondenz.