Webwecker Bielefeld: glueck02

Glück bereitet Arbeit (Teil 2)





Guillaume Paoli: Wusste nicht, was er tat. War die Diskussion nun Arbeit?


Doch hält der Vorsatz, Arbeit nicht zu definieren, auch einer Diskussion stand? Zu Beginn der Debatte auf der Bühne bemerkt Paoli flapsig: »Ich weiß nicht, ob das, was ich hier tue, Arbeit ist. Ich diskutiere – und hoffe auch ein Honorar zu bekommen«. Was ändert es, den Arbeitsbegriff zu negieren und trotzdem nach Parametern für Entlohnung und Nichtentlohnung zu suchen, muss sich Paoli fragen lassen. Der Soziologe Manfred Lauermann jedenfalls gibt frank und frei zu, er habe früher versucht, Arbeit zu definieren, dies aber aufgegeben. Ihn interessiere nun mehr der Begriff der Faulheit. Lauermann blickt dafür zurück: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hätten sich Reiche gerne in der freien Natur abbilden lassen. Den Wechsel habe der Großunternehmer Krupp eingeläutet, als er sich 1880 in einer Fabrik abbilden lässt.


Arbeitsmythos BRD nach dem Krieg

Lauermann kratzt auch hörbar an dem Wideraufbau-Mythos der Nachkriegsgeneration. Da erzählt er von Angestellten der Verwaltung in Hannover, deren einzige Beschäftigung in den 1950ern darin bestand, Kneipen zu überprüfen. »Da wurde alle halbe Jahre nach den Leitungen der Zapfhähne geguckt«, erzählt Lauermann. Es kommt aber noch besser: Alle Mitarbeiter hätten einen Buchstaben gehabt, der eine habe eben alle Kneipen mit dem Anfangsbuchstaben A kontrollieren müssen. So habe es eben auch einen Beschäftigten gegeben, der Kneipen mit dem Anfangsbuchstaben X überprüfen sollte. Der Gag bei der Sache: Es gab keine einzige Gaststätte in Hannover, die mit dem Buchstaben X begann. Überhaupt habe es in den 1950er und 1960er Jahren »erhebliche Lücken der Nichtarbeit« gegeben. »Die Bauarbeiter kamen morgens um 6 Uhr auf die Baustelle, haben kräftig Lärm gemacht und saßen um 9 Uhr in der Kneipe«. Lauermann schätzt, dass bei rund der Hälfte der Arbeitsplätze nicht gearbeitet wurde. »Dies ist aber bis heute ein Tabu«.

Hätte Lauermann Recht, würden sich völlig neue Perspektiven eröffnen. Dann gebe es durchaus Parallelen zwischen den beiden Deutschlands. Dass in der DDR viel Arbeit simuliert wurde – auch weil nicht immer ausreichend Produktionsmittel vorhanden waren – ist in der Literatur leidlich ausgewalzt. Folgt man Lauermann, müsste aber auch die Geschichte der BRD umgeschrieben werden.

»Diejenigen, die nicht faul sind, müssen sich legitimieren«, sagt Lauermann. Damit will er die herrschenden Diskursverhältnisse umdrehen – und begeht damit einen Fehler. Faulheit bestimmt eben auch das Gegenteil davon – und damit wäre eben auch Arbeit definiert. Lauermann wie auch Paoli können in der Diskussion ihr Spiel mit einem Nicht-Begriff nicht durchhalten – eben weil das Publikum auch erwartete, konkret zu werden. Dem konnten und wollten sich Paoli und Lauermann nicht verweigern.

Dazu gehört auch die Sinnfrage. Eine Stimme aus dem Publikum betont, dass Arbeit eben auch Spaß und Sinn machen kann. Gerade kreative Arbeit wie die eines Schauspielers könne befriedigen. Paoli und Lauermann bestreiten dies nicht. Doch sie äußern Bedenken. Paoli betont, dass das, was Künstler in der Vergangenheit als ihren Sinn- und Freiraum markierten, längst vom Kapitalismus eingeholt sei: »Heute verlangt man von jedem, kreativ zu sein«. Es gebe keine Insel der Glückseligen: »Der Kapitalismus saugt alle Ideen aus«. Eine vom Kapitalismus vereinnahmte Kreativität heiße eben auch, grenzenloser zu arbeiten, weiß Paoli. Die Arbeitszeit werde fragmentierter und länger. Dem sei angefügt: Wer keine Aufträge mehr bekommt oder eine reiche Oma hat, wird auch mit seiner dann unbezahlten Arbeit nur noch in Maßen glücklich sein. Dafür sorgt der Imperativ, sich irgendwie Geld zum Überleben besorgen zu müssen. Oder wie es Paoli schön formuliert: »Der Imperativ vernichtet das Motiv«.