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Glück bereitet Arbeit (Teil 3)





Lob der informellen Arbeit: Manfred Lauermann


Dies scheint Lauermann zu verkennen, wenn er im Gestus des Künstlers eine Abwehr gegen die Arbeitswelt erkennt: »Van Gogh hat schließlich auch kein einziges Bild verkauft«. Die prompte Gegenfrage, wovon van Gogh denn dann gelebt habe, lässt Lauermann unbeantwortet.

Dem Publikum, dem das Spiel auf der Bühne teilweise zu bunt wurde, griff mit zunehmender Länge der Debatte immer häufiger in die Inszenierung ein. Da fielen Bemerkungen wie: »Es gehe eben nicht nur darum, dass wir leben, sondern auch, wie wir leben«. Lauermann beschrieb seine Beobachtungen aus Brasilien: Dort werde Arbeit erfunden. In einem Land, in dem die Hälfte der Menschen arbeitslos ist, verhungere trotzdem niemand. Wie könne das sein – trotz eines nicht vorhandenen Sozialstaats?

Lauermann bringt Beispiele: Von organisierten Jugendlichen, die Autofahrern, die einen Parkplatz suchen, anbieten, ihre Autos abzustellen, auf sie aufzupassen und zu einem verabredeten Zeitpunkt und Ort wieder vorzufahren. Oder er beschreibt, dass in Brasilien auf nahezu jedem Platz ein Grill stehe, wo Würstchen verkauft werden. »Wenn es die Ämter, die es Deutschland gibt, auch in Brasilien gebe, wären Millionen Menschen tot«, fügt er an. Ohne Bürokratie blüht der informelle Sektor. Lauermann legt sogar noch drauf: »Gottseidank hat Präsident Lula den Sozialstaat nicht eingeführt«.

Die ungeprüfte Lauermannsche Bratwurst wollen aber nicht alle im Publikum essen: »Das Loblied auf den informellen Sektor möchte ich innerhalb des Kapitalismus nicht singen«, empört sich eine Zuschauerin. »Bei uns können Sie im Gegensatz zu Brasilien das Wasser trinken«, ergänzt sie. Will heißen: Ohne Regeln, die Menschen schützen, geht’s nicht. Aus dem Gespräch über den Mythos Arbeit droht eine Debatte um Entbürokratisierung zu werden.

Die Lauermannschen Brasilienerkundungen klingen verdächtig nach einem Loblied auf den informellen Sektor, der die Menschen nicht nur am Überleben hält, sondern ihnen sogar ein sichtbares Glück verleiht. Da ist der Sprung zur Subsistenzwirtschaft nicht mehr weit: Für sich selbst anbauen, auf der eigenen Scholle, das Paradies auf Erden eben. Für Lauermann sind auch Bio-Bauern in Deutschland tendenziell glücklich. Auch dies wird aus dem Publikum bezweifelt: »Auch diese Menschen sind nicht frei von den Zwängen der Arbeitswelt«.


Mythentausch

Vor allem Lauermann strickt auf der Bühne fleißig an einem neuen Mythos. Er singt ein Loblied auf alles Informelle, auf Arbeit, die von unten geschaffen wird. Damit wird er konkret – und begibt sich von den Höhen eines durchaus wichtigen Begriffsspiels um die Arbeit in die Niederungen des Tatsächlichen. Genau hier liegt auch die Spannung des Abends. Die Protagonisten, vor allem Paoli, begreifen die Bühne als Bühne: Sie spielen. Weil der ästhetische Raum aber ambivalent ist und das Publikum keine Aufführung, sondern eine reale Debatte erwartet, wankt der Gespräch. Für das Publikum, dass in dem Spiel kein Spiel erkennen will, weil eine Bühne nicht automatisch Theater bedeutet, wird vor allem Lauermann zur Reizfigur. Das Publikum hat am eigenen Leib erfahren, was Arbeit ist. Es geht um nichts geringeres als existenzielle Erfahrungswelten, denen Lauermann mit einer Leichtigkeit etwas entgegensetzt, die auch als Arroganz gewertet werden kann.

Dabei steht die Brücke zwischen einer theoretischen Erörterung und der empirischen und subjektiv erfahrbaren Arbeit durchaus bereit. Das Maximale innerhalb des herrschenden Systems dürfte die Verwirklichung Grundeinkommen sein. Jedem Menschen wäre damit ein existenzsicherendes Geld ohne Bedingungen garantiert.