Webwecker Bielefeld: Trauriger Frühling

"Der traurige Frühling" und "Milena Jesenska" - Biographie einer Befreiung"



Titel: Der traurige FrühlingMit "Der traurige Frühling" und "Milena Jesenska´ - Biographie einer Befreiung" liegen zwei (auto)biographische Texte vor, im Zentrum stehen Menschen mit Idealen. Auch in politisch bewegter Zeit versuchen sie, diese umzusetzen. Sowohl Michael Moshe Checinski als auch Milena Jesenska´ suchen in scheinbar ausweglosen Situationen nach neuen Möglichkeiten, wagen Brüche.

Michael Moshe Checinski, geboren 1924 in Lodz erzählt in "Die Uhr meines Vaters" von seiner Jugend in Polen, seiner Familie, vom Erleben des Holocaust. Er berichtet vom Widerstand im Ghetto und der Deportation. Nach der Befeiung aus dem Konzentrationslager Auschwitz kämpft er mit der Roten Armee gegen die Deutschen. Im zweiten Teil seiner Erinnerungen "Der traurige Frühling" berichtet Checinski von seiner Rückkehr nach Lodz, der Suche nach Überlebenden. Bald muss er erkennen, dass er der einzige Überlebende seiner Familie ist. Allerdings trifft er Freunde aus dem Ghettowiderstand wieder, einige verleugnen bereits ihre jüdische Abstammung. Checinski ist Idealist, er träumt von einem neuen, einem besserem Polen, frei von Antisemitismus und Rassismus. Dafür setzt er sich als überzeugter Kommunist ein. Innerhalb des Parteiapparates macht er schnell Karriere. Checinski wird Mitglied des militärischen Geheimdienstes und doziert an der polnischen Militärakademie. Checinski hinterfragt seinen Aufstieg kaum, die Bespitzelungen erscheinen ihm als notwendig. Sehr genau dokumentiert er die Veränderungen der politischen Verhältnisse im Nachkriegspolen und ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche und private Leben. Anfang 1953 steht er plötzlich selbst im Mittelpunkt von Verdächtigungen und muss sich für eine Neujahrsfeier rechtfertigen. "Ich verstand einfach nicht, wie man einen gläubigem Kommunisten wie mich, einen Mann mit meiner Vergangenheit, als Spion verdächtigen konnte. Ebenso unbegreiflich erschien mir, warum das Singen revolutionärer jüdischer Lieder, die uns geholfen haben, die Ghettohölle zu überstehen, Verdacht erregen, ja als Verbrechen gelten konnte....Die Überzeugung, Teil der Avantgarde zu sein, die für eine besserer Welt kämpfte, hatte einen Knacks bekommen." Checinski erlebt den Tod Stalins, den Moskauer Ärzteprozess, das politische Tauwetter nach 1956. Gerade in dieser Zeit erstarkt der Antisemitismus, spürbar nicht nur im Parteiapparat. So müssen sich die Töchter Checinskis in der Schule gegen antisemitische Beleidigungen verteidigen. 1969 verlässt Checinski mit seiner Familie Polen. In Israel hoffen sie auf ein freies Leben ohne Antisemitismus unter Menschen jüdischen Glaubens. Der Integrationsprozess verläuft auch aufgrund der Sprachprobleme nicht problemlos, letztlich findet Checinski als Akademiker und Militärexperte seinen Platz. Auffällig an Checinskis Lebensbericht ist, dass er sehr lange Zeit dem kommunistischem System in Polen relativ unkritisch gegenübersteht, angesichts der großen Idee und Aufgabe entschuldigt er kleinere Übel. Ebenso unkritisch steht er dem Staat Israel gegenüber, weder hinterfragt er z.B. den Sechs-Tage Krieg von 1967 noch die Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land - Ideologie, auch hier sieht er über einiges hinweg. Eine dritte Fortsetzung seines Lebensweges, derzeit lebt Checinski in Israel und Garmisch- Partenkirchen, wäre auch angesichts dieser Verortung und seiner treffenden Beschreibungen interessant.