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»Sehr breites Bündnis von Neonazis« (10.08.2005)





Wunsiedel 2004: Seite an Seite der Holocaustleugner Horst Mahler und Ursula Haverbeck-Wetzel, Mentorin des rechtsextremen Collegium Humanum in Vlotho. Bild: <a href="http://www.ns-verherrlichung-stoppen.tk">http://www.ns-verherrlichung-stoppen.tk


Wenn Gerichte es nicht wider Erwarten in allen Instanzen verbieten, werden sich am 20. August in Wunsiedel wieder Tausende Rechtsextreme aus ganz Europa versammeln. Denn in der fränkischen Kleinstadt wurde nach seinem Selbstmord im August 1987 Rudolf Heß, Stellvertreter Adolf Hitlers, beerdigt. Bereits im darauffolgenden Jahr gedachten mehr als einhundert Rechtsextreme des verurteilten Kriegsverbrechers. Seit einigen Jahren wächst die Zahl der Teilnehmer an dem Gedenkmarsch an, in diesem Jahr wollen die Bürger Wunsiedels und Antifaschisten aus der ganzen Republik dem etwas entgegensetzen. In Ostwestfalen beteiligt sich neben anderen Jens Sager an dem Bündnis »NS-Verherrlichung stoppen«. Mit ihm sprach Mario A. Sarcletti über den Naziaufmarsch.


WebWecker: Wer ist das denn, der da von den Nazis in Wunsiedel geehrt wird?

Jens Sager: Da wird Adolf Hitlers Stellvertreter geehrt, der schon in den 20er Jahren in der Thule-Gesellschaft mit Gleichgesinnten antisemitisch diskutiert hat. Später war er auch am Hitler-Putsch beteiligt, woraufhin er erst mal nach Österreich geflohen ist. Als er gesehen hat, dass seine Mitkameraden, die wegen des Marschs auf die Feldherrenhalle verhaftet worden sind, unter anderem eben Hitler und Ludendorff, relativ geringe Strafen bekommen haben, hat er sich gestellt und ist auch inhaftiert worden. Als er dann in Landsberg in Haft saß, hat Hitler dort »Mein Kampf« geschrieben und Heß ist maßgeblich daran beteiligt gewesen, indem er Korrektur gelesen und viel mit Hitler über »Mein Kampf« diskutiert hat.


Jetzt bezeichnen ihn Rechte ja auch als den »Friedensflieger«. Was ist dazu zu sagen?

Es war so, dass Heß 1941 nach England geflogen ist und dort von den Engländern abgeschossen und ins Gefängnis gesteckt worden ist. Führende Historiker denken, dass er einen Separatfrieden mit England abschließen wollte. Am 1. Weltkrieg hatte man gesehen, dass Deutschland am Zwei-Fronten-Krieg gescheitert ist und deshalb wollte Heß diesen Separatfrieden.


Warum hat sich die rechtsextreme Szene diesen Rudolf Heß sozusagen als Idol gewählt?<i/>

Auf der einen Seite war das eine Ikone, die lange in Spandau im Kriegsverbrecher-Gefängnis saß. Sein Spruch nach dem Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals war: Ich bereue nichts. Er wurde damals für die Nürnberger Rassengesetze verurteilt, die er mit aufgeschrieben, publiziert und durchgeführt hat. Dass er 1941 in England inhaftiert wurde, heißt, dass er, obwohl er die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz mit aufgebaut hat, für die Nazis als Saubermann dasteht. Obwohl er ganz klar in den 20er Jahren antisemitisch und ideologischer Wegbereiter der Shoa war. Aber weil er 1941 inhaftiert wurde, konnte man ihm nicht nachweisen, dass er an der Shoa direkt beteiligt war. Das macht ihn zu einer relativ unverdächtigen Ikone für die Nazis.


Welche Bedeutung hat dieser alljährliche Marsch für die Naziszene?

Eine sehr große. 1988 war der erste unter dem Neonazi Michael Kühnen, das waren circa 170 Neonazis, der war in der Öffentlichkeit nicht so bedeutend. Aber mit der Öffnung der Grenzen 1990, beziehungsweise der Annexion der DDR durch Westdeutschland, und dem Problem, dass dort der Nationalgeist hochkam, und dadurch, dass es auch in der DDR viele Nazis gab, wuchs dieser Marsch auf 1100 Neonazis und bekam eine Medienbedeutung für sie.