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Organisierte Selbsthilfe (16.11.2005)





Selbsthilfe in Zeiten knapper Kassen: Von der ergänzenden Gruppe zum letzten Ausweg? Fotomontage: Manfred Horn


Von Manfred Horn

Keine Frage, Selbsthilfe ist in. »Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner« und »Gemeinsam sind wir stark«. Diese beiden Sprüche markieren das Spannungsfeld von Selbsthilfe in Zeiten eines wankenden Sozialstaats. Die ›Bikis‹, die Bielefelder Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, wurde vor zwanzig Jahren gegründet und feierte ihr Jubiläum am vergangenen Freitag mit einer Fachtagung, zu der Politiker, Funktionäre von Kassen und Krankenhäusern und vor allem in Selbsthilfegruppen Organisierte im Neuen Rathaus zusammen kamen.

Da gab es zwar im Foyer auch Brötchen, aber in Sektlaune war kaum jemand. Denn auch Selbsthilfegruppen sind keine Selbstläufer. Den Anfang nahm die Bewegung Ende der 1970er Jahre. Damals etablierten sich in vielen Städten der alten Bundesrepublik die ersten Selbsthilfegruppen. 1979 kam Carmen Thomas mit ihrer legendären WDR-Sendung »Hallo Ü-Wagen« nach Bielefeld – und sorgte so für eine weitere Verbreitung des damals in breiten Bevölkerungskreisen noch unbekannten Gedankens organisierter Selbsthilfe.

Heute hat die Selbsthilfe große Bedeutung bei der Vorbeugung, Behandlung und Rehabilitation chronischer Erkrankungen, bei psychischen Krisen oder belastenden Lebenssituationen. Bei der Fachtagung am vergangenen Freitag im Neuen Rathaus berichtete Günter Garbrecht, SPD-Ratsmitglied und Landtagsabgeordneter, ganz offen über seinen ersten Kontakt mit der Selbsthilfe: »Die Anonymen Alkoholiker haben mir in einem schwierigen Lebensabschnitt geholfen«, sagt er in Rückblick auf die 1980er Jahre. »Und für die Zukunft weiß ich: Falls ich sie noch mal brauche, sind sie da«.

Die Bedeutung der Selbsthilfe hob bei der Tagung auch Johannes Kramer, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken hervor: Man fördere im Krankenhaus ganz bewusst Selbsthilfegruppen, diese seien eine »wichtige Nahtstelle«. Doch würden Selbsthilfegruppen zunehmend als Dienstleister innerhalb einer Versorgungskette gesehen und entsprechend von Betroffenen und Fachleuten genutzt, hebt die Bikis hervor. Diese berge jedoch die Gefahr der Überforderung von Selbsthilfeaktiven, warnt Bikis.


Ohne Patientenerfahrung unvollständig

Darüber hinaus nimmt das öffentliche Interesse an Selbsthilfegruppen – als diejenigen, die Patienteninteressen formulieren und Sichtweisen von Betroffenen einbringen – zu. Bei der Fachtagung am vergangenen Freitag im Neuen Rathaus schlug Ulrich Thamen von der Kassenärtzlichen Vereinigung Westfalen-Lippe vor, Selbsthilfegruppen in ärztliche Qualitätszirkel zu integrieren: »Man bleibt als Arzt unvollständig, wenn man nicht die Sicht der Patienten reflektiert bekommt«.